Mitte-Studie: Die Demokratie in Deutschland steht unter Spannung

Interview

Studie zur Demokratie in Deutschland:Forscherin: Mitte der Gesellschaft "politisch gespalten"

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Die Mitte zeigt sich zufrieden mit dem Leben, erklärt Beate Küpper. Sie sei allerdings auch politisch gespalten und unentschlossener als zuvor, so die Mitautorin der Mitte-Studie.

Archiv: Schatten von Personen einer Menschenmenge im Gegenlicht in der Altstadt von Düsseldorf.

Der neuen Studie zufolge hat das Vertrauen in das Funktionieren der Demokratie und ihrer Institutionen weiter abgenommen.

Quelle: Imago

ZDFheute: Die neue Mitte-Studie trägt den Titel "Die angespannte Mitte". Weshalb zeichnen Sie das Bild einer angespannten Gesellschaftsmitte?

Beate Küpper: Wir erleben derzeit die große Diskussion, inwieweit unsere Demokratie in der Krise steckt. Aufgrund unserer Ergebnisse können wir festhalten:

Die Demokratie in Deutschland droht derzeit noch nicht zu kippen.

Das ist die ermutigende Nachricht vorneweg. Es gibt allerdings auch deutliche Hinweise, dass unklar ist, ob nicht antidemokratische Kräfte und Überzeugungen so stark werden, dass sie am Ende doch noch kippt. Diese angespannte Situation, in der wir uns als Gesellschaft befinden, wollen wir zum Ausdruck bringen. Die Mitte zeigt sich einerseits zufrieden mit dem Leben, andererseits politisch gespalten und unentschlossener als zuvor. Die Graubereiche in vielen Einstellungen wachsen.

Sozialpsychologin Beate Küpper, Professorin an der Hochschule Niederrhein
Quelle: Daniela König/Hochschule Niederrhein

... ist Professorin an der Hochschule Niederrhein und lehrt Soziale Arbeit in Gruppen‐ und Konfliktsituationen. Die Sozialpsychologin ist Mitautorin der von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie zu aktuellen rechtsextremen Einstellungen in Deutschland.


... ist eine Untersuchung zu demokratiegefährdenden Einstellungen in Deutschland. Zum zehnten Mal hat die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung eine repräsentative Erhebung als Grundlage für ihre Mitte-Studie durchführen lassen. Wissenschaftlicher Partner ist seit 2014 das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Für die Studie, die im zweijährigen Rhythmus durchgeführt wird, wurden von den Autoren Professor Andreas Zick (Leiter), Professorin Beate Küpper sowie den wissenschaftlichen Mitarbeitern Nico Mokros und Marco Eden die Inhalte von 2.001 repräsentativen Telefoninterviews (Alter von 18 bis 94 Jahren, Altersdurchschnitt: 52 Jahre) im Befragungszeitraum 30. Mai bis 4. Juli 2025 ausgewertet. Auf dieser Basis werden in der Reihe der Mitte-Studien die Verbreitung, Entwicklung und Zusammenhänge sozialer und politischer Einstellungen analysiert, um Auskunft über aktuelle und langfristige Herausforderungen der Demokratie und Gesellschaft zu geben.


ZDFheute: Was gibt Anlass zur Sorge mit Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung hierzulande?

Küpper: Das Vertrauen in das Funktionieren der Demokratie und ihrer Institutionen nimmt weiter ab. Die große Mehrheit, 79 Prozent der Bevölkerung, bezeichnet sich zwar grundsätzlich als überzeugte Demokraten. Gleichzeitig sind die Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Demokratie erneut gewachsen:

Nur noch 52 Prozent der Befragten finden, dass die Demokratie im Großen und Ganzen ganz gut funktioniert. Ein Viertel verneint dies - das ist ein Höchstwert seit 2016.

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ZDFheute: Demgegenüber stehen aber auch ermutigende Signale. Die Ergebnisse zeigen immerhin, dass es keine weitere Ausbreitung eindeutiger rechtsextremer Ideologien in der Mitte gibt.

Küpper: Ja und nein. Zwar lehnt die große Mehrheit, insgesamt drei Viertel der Menschen in Deutschland, rechtsextreme Einstellungen ab. Und wir haben weniger Befragte, die ein klar rechtsextremes Weltbild teilen. Das ist sehr positiv. Was wir allerdings ebenfalls feststellen müssen:

Die Zahl derer, die sich klar demokratisch positionieren, nimmt ab. Immer weniger lehnen konsequent alle wirklich harten extrem rechten Aussagen ab, anhand derer wir die Einstellung erfassen.

Diese Entwicklung wiederum bereitet uns Sorgen, da sich offenbar ein demokratischer Kompass aufzuweichen scheint. Inzwischen sagen zudem immer mehr Menschen offen: "Ja, ich bin rechts".

Was aber in jedem Fall ermutigt: 61 Prozent der Befragten halten Bildung für ein wichtiges Instrument in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und sind der Ansicht, dass diese gestärkt werden sollte.

Noch positiver: 51 Prozent der Befragten sind sogar bereit, selbst aktiv zu werden, um die Demokratie zu schützen. Dieser Bereitschaft steht aber auch eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber - denn mehr als die Hälfte weiß nicht, was konkret sie tun soll. Da sind Zivilgesellschaft und Politik gefragt, diesen Menschen ein entsprechendes Angebot zu machen.

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ZDFheute: Welcher Befund hat Sie im Vergleich zur vorangegangenen Studie am meisten überrascht?

Küpper: Wir denken ja immer, dass die Menschen im Land generell unzufrieden sind. Das stimmt so pauschal aber gar nicht.

Alles in allem lässt es sich nach Ansicht von 78 Prozent in der Mitte-Studie 2024/25 Befragten gut in Deutschlands Regionen leben, fast zwei Drittel fühlen sich dort auch gut versorgt.

Wir sehen dabei ein erstaunlich geringes Ost-West- und Stadt-Land-Gefälle. Ganz ähnlich wie andere aktuelle Studien finden auch wir Zusammenhänge zwischen der weniger guten Einschätzung der regionalen Daseinsvorsorge und AfD-Parteipräferenzen. Überhaupt: Inzwischen finden 30 Prozent der Befragten, die AfD sei eine Partei wie alle anderen auch. Gleichzeitig sind aber nur 22 Prozent von den Argumenten der AfD überzeugt.

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ZDFheute: Wie sind Gesellschaft und Politik gefordert, mit den vorliegenden Ergebnissen umzugehen?

Küpper: Die Befragten wünschen sich mit absoluter Mehrheit mehr Bildung zu den Themen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Demokratie. Allerdings ist das Vertrauen in die Politik und Regierung gesunken, sodass es umso mehr darauf ankommt, dass die Politik ein Vertrauenszeichen sendet und die politische Bildung stärkt.

Denn ein nicht kleiner Teil der Befragten verharmlost den Rechtsextremismus. 39 Prozent finden beispielsweise, er werde in den Medien hochgekocht.

20 Prozent meinen, es sei am besten, den Rechtsextremismus gar nicht zu beachten. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass dahingehend ein schleichender Gewöhnungseffekt einsetzt. Das sollte uns allein die deutsche Geschichte gelehrt haben.

Das Interview führte Michael Kniess.

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