Taiwan wählt Lai: Was das für das Verhältnis zu China heißt
Wahlen in Taiwan:Was Lais Wahl für das China-Verhältnis heißt
von Miriam Steimer
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Taiwan hat einen neuen Präsidenten gewählt, der auf größte Distanz zu China setzt. Welche Töne er gegenüber der Volksrepublik anstoßen will und wie diese reagieren könnte.
Als William Lai zum ersten Mal als Abgeordneter kandidierte, waren seine Haare nach langen Tagen mit Besuchen bei Wählerinnen und Wählern und Reden oft unordentlich. Er bat seinen Friseur um einen Haarschnitt, der nicht viel Aufwand und Pflege koste. "Ok, lass’ mich einen Präsidenten-Haarschnitt für Dich entwerfen", sagte Li Chuan-fu im Scherz.
Heute wird sein Wunsch wahr, seit mehr als 30 Jahren schneidet er - beziehungsweise inzwischen sein Sohn - William Lais Haare. Und den haben die Taiwanesinnen und Taiwanesen zum nächsten Präsidenten gewählt.
Lai geht auf Distanz zu China
Der Sieg von William Lai ist ein Problem für China: Die Taiwanesen haben denjenigen der drei Präsidentschafts-Kandidaten gewählt, der die größte Distanz zu China sucht.
Das waren die Kandidaten bei der Wahl in Taiwan:
Quelle: epa
Der 64-jährige Lai gilt als Favorit bei dem Urnengang. Die Taiwaner kennen den Politiker der DPP seit vier Jahren als Vizepräsidenten. Der Sohn eines Bergarbeiters studierte in Harvard und arbeitete als Arzt, bis er vor fast 30 Jahren in die Politik wechselte. Er war Abgeordneter, Bürgermeister der Stadt Tainan im Südwesten des Inselstaates und Regierungschef.
Er selbst nennt sich einen "pragmatischen Verfechter der Unabhängigkeit Taiwans" - und geht noch deutlicher auf Distanz zur kommunistischen Volksrepublik China als die scheidende Präsidentin. Peking, das Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet, beschimpft ihn und seine Vize-Kandidatin Hsiao Bi-khim, die ehemaligen taiwanische Vertreterin in Washington, als "gefährliches Unabhängigkeits-Duo". Lai bezeichnet die Wahl als eine Entscheidung zwischen "Demokratie und Autokratie". Er zeigt sich jedoch bereit, "die Tür für den Austausch und die Zusammenarbeit mit China zu öffnen, wenn die Voraussetzungen für Gleichheit und Würde gegeben sind".
Quelle: dpa
Der ehemalige Polizeichef und Bürgermeister von Neu-Taipeh, Hou Yu-ih, ist der Kandidat der größten Oppositionspartei Kuomintang (KMT), die für eine Annäherung an China eintritt. Der 66-Jährige ist seit 2010 in der Politik. Damals wurde er stellvertretender Bürgermeister von Neu-Taipeh, dem mit vier Millionen Einwohnern größten Wahlkreis der Insel. 2018 stieg er dort zum ersten Bürgermeister auf. Am Samstag hätten die Taiwaner die Wahl "zwischen Krieg und Frieden", meint Hou.
Seine lange Karriere bei der Polizei befähige ihn, "Taiwan zu schützen", verspricht er. "Ich kann den Frieden auf beiden Seiten der Straße von Taiwan wahren, und ich werde mein Bestes tun, um einen Krieg zu verhindern." Hou kritisiert die regierende DPP für ihre Wirtschaftsbilanz und kündigte an, im Falle seiner Wahl "so schnell wie möglich" einen umfassenden Handelspakt mit Peking zu schließen.
Quelle: dpa
Ko Wen-je gründete 2019 die Taiwanische Volkspartei (TPP) als dritte Option zu den beiden dominierenden politischen Parteien. Der ehemalige Chirurg war ein politischer Neuling, als er sich 2014 um das Amt des Bürgermeisters von Taipeh bewarb – und gewann. Es war das erste Mal, dass ein Unabhängiger für den Führungsposten der Hauptstadt gewählt wurde. Bekannt unter seinem Spitznamen "Ko P" sieht sich der 64-Jährige als "vernünftige und pragmatische" Alternative zu den beiden großen Parteien, die "viele Wähler nicht mehr ertragen können". Sein forsches und schnoddriges Auftreten spricht vor allem viele junge Menschen an. Kritiker monieren, dass er seine Positionen je nach Publikum ändere.
Seine Kommentare zu Frauen und der LGBTQ-Gemeinschaft sorgten ebenfalls für Kontroversen. In einem Interview kündigte Ko an, die Fähigkeiten Taiwans zur militärischen Selbstverteidigung ausbauen zu wollen. Damit wolle er der chinesischen Führung klar machen, dass ein Krieg "einen hohen Preis" hätte. Gleichzeitig wolle er auf Kommunikation mit Peking setzen, um zu verhindern, "dass aus Versehen geschossen wird".
Quelle: AFP
Damit setzt sich ein Trend fort: Seine "Demokratische Fortschrittspartei" kann zum dritten Mal in Folge den Präsidenten stellen. Er wird wohl die Linie seiner Vorgängerin Tsai Ing-wen fortführen: die Volksrepublik rhetorisch verbal nicht zu offensiv angehen, mildere Töne anschlagen und sich gleichzeitig auf die Position zurückziehen, dass Taiwan bereits ein souveränes, unabhängiges Land ist. Außerdem wird er weiter international Verbündete suchen - diplomatisch wie wirtschaftlich - um sich unabhängiger von China zu machen.
China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz
Da sich immer mehr Menschen auf der demokratischen Insel nur noch als Taiwanesen identifizieren, wird die Verbindung zu China immer schwächer.
1912 wurde die "Republik China" ausgerufen. Ihr Staatsgebiet umfasste damals ganz China - das Festland und seit 1945 auch Taiwan. Nach dem chinesischen Bürgerkrieg 1949 hatte die Kommunistische Partei auf dem chinesischen Festland die Macht errungen und die "Volksrepublik" ausgerufen. Die unterlegene Kuomintang zogen sich nach Taiwan zurück. Als Resultat des Bürgerkrieges bestehen bis heute zwei separate chinesische Staaten: zum einen die sozialistische Volksrepublik China und zum anderen die von nur wenigen Staaten als eigenständig anerkannte demokratische Republik China (Taiwan). Die Volksrepublik betrachtet Taiwan, obwohl sie die Insel faktisch nie beherrscht hat, als Bestandteil des chinesischen Territoriums. Peking hält am "Ein China-Prinzip" fest. Nach dieser Doktrin der Kommunistischen Partei Chinas gibt es nur ein einziges China - inklusive Taiwan, Hongkong und Macau. Die Republik China (Taiwan) wiederum betrachtet sich selbst als souveränen Staat, von dem sich die Volksrepublik abgespalten habe.
Das ist problematisch für die chinesische Staatsführung, die Taiwan als "abtrünnige Provinz" bezeichnet, als Teil ihres Staatsgebiets betrachtet, mit "Wiedervereinigung" droht - wie es in der Propaganda heißt - und ihr Militär rund um die Insel immer wieder den Angriff proben lässt.
China will Taiwan wohl weiter isolieren
Peking hatte die Wahlen im Vorfeld zur Schicksalswahl erklärt: Für die Menschen in Taiwan seien sie eine Entscheidung zwischen Krieg und Frieden. Die Reaktion könnten verstärkte Militär-Manöver sein, wie wir es nach dem Besuch von der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi im August 2022 erlebt haben.
Das Angebot William Lais, die offiziellen Kontakte - nach acht Jahren Stille - wieder aufzunehmen, solange sie mit Respekt und auf Augenhöhe stattfinden, wird Peking wohl nicht annehmen. Stattdessen ist es wahrscheinlicher, dass es versucht, Taiwan diplomatisch zu isolieren und den wirtschaftlichen Druck weiter zu erhöhen, zum Beispiel in dem es den Import von weiteren Produkten aus Taiwan sanktioniert.
In Taiwan gehört die Bedrohung Chinas zum Alltag. Doch wie junge Taiwanesen berichten, werde die Stimmung seit dem Krieg in der Ukraine immer angespannter.20.09.2023 | 6:46 min