Seit 7 Jahren ist Sonja Nientiet in Somalia in der Gewalt von Dschihadisten. Ein neues Video zeigt sie und wirft Fragen zur Entführung auf.
Quelle: screenshot
Somalia zählt zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Seit Jahrzehnten. Einzig die sogenannte "green zone" am Flughafen der Hauptstadt Mogadischu gilt als einigermaßen sicher. Von hier aus arbeiten die meisten Botschaften, internationalen Hilfsorganisationen oder auch Unternehmen. Nicht aber das Internationale Rote Kreuz (ICRC). Sein Hauptquartier liegt außerhalb der schwer gesicherten "grünen Zone" - und genau von dort wurde die Deutsche Sonja Nientiet entführt.
Somalia stürzt durch die Zunahme des Terrors der Al-Shabaab-Miliz in immer größeres Chaos - für Somalias Bürger ist es ein Kampf ums nackte Überleben.27.11.2020 | 44:17 min
Entführung vom Arbeitsplatz
Es ist der Abend des 3. Mai 2018. Sonja Nientiet, die in Somalia als Pflegekraft verletzte und kranke Menschen behandelte, will das Gebäude verlassen, als sie von einem Sicherheitsmitarbeiter durch eine Hintertür in ein Auto geschleppt wird. Gemeinsam mit einem kenianischen Kollegen wird die Deutsche gekidnappt - raus aus Mogadischu. Das Auto wird später gefunden, es hatte eine Reifenpanne. Der kenianische Kollege wird rasch freigelassen, nicht aber Sonja Nientiet.
Wachmann war wohl Komplize
Die somalischen Behörden gehen später davon aus, dass der Wachmann mit den Kidnappern unter einer Decke steckte. Kein Einzelfall: Immer wieder kommt es vor, dass lokale Mitarbeiter von Terrororganisationen mit Geld oder anderen Versprechungen bestochen werden. Für Sonja Nientiet wurde das zum Verhängnis. Seit über sieben Jahren ist sie nun in der Hand von somalischen Dschihadisten.
Am 3. Mai 2018 wurde die deutsche Pflegekraft Sonja Nientiet in Mogadischu entführt. Hinter der Tat sollen somalische Dschihadisten stecken.
Quelle: ZDF
In aktuellem Video fleht sie um Hilfe
Lange gab es Mutmaßungen, sie sei längst tot oder hätte sich verbündet mit ihren Entführern. Doch vor wenigen Wochen tauchte ein Video von ihr auf: Im schwarzen Tschador sitzt sie vor der Kamera, sieht müde und erschöpft aus. An der Echtheit des Videos bestehen keine Zweifel. Sie fleht die deutsche Bundesregierung an, für ihre Freilassung zu kämpfen. Nur für "ihre Liebsten zuhause", so sagt sie auf englisch, würde sie weiterleben.
Vor einigen Jahren kamen in den Nachrichten ständig schockierende Meldungen über Piraten-Angriffe in Somalia. Europa und die USA starteten Anti-Piraterie-Missionen und patrouillierten an der Ostküste Afrikas. Und heute?02.08.2023 | 15:01 min
"Sonjas Schicksal interessiert offenbar wenig"
Olga Platzer ist eine enge Freundin von Sonja Nientiet. Anfang der 2000er Jahre studierten die beiden zusammen Pflegemanagement in Frankfurt. Beide sind seitdem befreundet, auch wenn sich ihre beruflichen Wege trennten. "Ich kann es einfach nicht fassen," sagt Platzer gegenüber dem ZDF, "dass Sonjas Schicksal offenbar so wenig interessiert, und dass niemand wirklich etwas unternimmt."
Ausweichende Antworten, keine Hilfe
Immer wieder schreibt Platzer Behörden an, die Antworten sind ausweichend. Man arbeite mit Hochdruck, die Situation sei kompliziert. Auf keinen Fall solle Nientiets Freundeskreis die Presse einschalten, das würde die Lage erschweren. "Nach sieben Jahren habe ich daran meine Zweifel", sagt Olga Platzer. "Was kann denn noch schlimmer werden? Dass Sonja in Gefangenschaft stirbt. Durch Krankheit. Durch militärische Auseinandersetzungen in Somalia. Sonja läuft die Zeit davon."
Die letzte Etappe der Reise durch den Sahel beginnt im Gefängnis von Darfur. Im Sudan herrschen Unruhen, das Land ist in Alarmbereitschaft - und das ausländische Filmteam nicht willkommen.
12.01.2024 | 29:20 min
Auf ZDF-Anfragen keine Auskunft
Auch das ZDF fragt beim Auswärtigen Amt in Berlin nach. Die Antwort kommt rasch: "Wir bitten um Verständnis, dass sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht zu Entführungsfällen deutscher Staatsangehöriger im Ausland äußert."
Ähnlich sieht es beim Internationalen Roten Kreuz in Genf aus. Schriftliche Anfragen des ZDF werden nicht beantwortet.
Hunderte von Europäern sind in den letzten 30 Jahren in Subsahara-Afrika entführt worden. Eine exakte Zahl allerdings gibt es nicht. Einige Entführungsfälle lösen sich rasch, oft aber sind Hilfsorganisationen extrem zurückhaltend mit Informationen, weil sie keine Nachahmungstäter animieren wollen. So auch im Fall von Sonja Nientiet?
Freunde und Familie kämpfen weiter um Freilassung
Was auffällt in dem kürzlich aufgetauchten Video von Sonja Nientiet: Die 54-jährige Pflege-Fachkraft ist offenbar nicht an einem isolierten Ort. Hintergrundgeräusche lassen auf ein ganz normales Dorfleben schließen. Immer wieder schließt sie die Augen, trocknet an einer Stelle die Tränen mit einem Taschentuch. Sie möchte ihre Liebsten wiedersehen, sagt sie. Dass ihre Mutter, die sich vom heimischen Hamm für ihre Freilassung einsetzte, vergangenes Jahr gestorben ist, weiß sie nicht.
Seit sieben Jahren führt Sonja Nientiet ein nahezu vergessenes Leben. Wären da nicht Freunde wie Olga Platzer. Sie und ein größerer Freundeskreis kämpfen weiter für die Freilassung einer Frau, die in einem der gefährlichsten Länder der Welt einfach nur helfen wollte.
Susann von Lojewski ist Studioleiterin im ZDF-Studio Nairobi. Sie berichtet von dort aus den Ländern West- und Mittelafrikas.