Protest in Slowakei: Kunstschaffende bangen um Kunstfreiheit
Regierung baut Kultur um:"Es droht kultureller Kahlschlag in der Slowakei"
von Benedikt Karl, Bratislava
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Die slowakische Regierung ersetzt die kulturelle Führungsriege des Landes systematisch durch treue Gefolgsleute. Doch es gibt Protest. Viele gehen für Kunstfreiheit auf die Straße.
Die slowakische Regierung plant einen Kahlschlag der Kultur in der Slowakei. Doch Kunstschaffende und die Bevölkerung setzen sich für die Kunstfreiheit in ihrem Land ein.
Quelle: dpa
"Wir wussten, dass es schlecht sein wird, aber nicht, dass es so schlecht sein wird," sagt Matej Drlička. Vor einem halben Jahr noch war er noch einer der wichtigsten Kulturchefs der Slowakei. Als Generaldirektor des Slowakischen Nationaltheaters leitete er die größte Kulturinstitution des Landes. Und das mit Erfolg: Unter seiner Ägide verzeichnete das Haus einen Rekord an Besuchern. Doch einer Person war Drlička ein Dorn im Auge: Der slowakischen Kulturministerin Martina Šimkovičová.
Politische Genossen statt Kulturexperten
Seit Herbst 2023 ist Šimkovičová im Amt. Untätigkeit kann man der ehemaligen TV- Moderatorin seither nicht vorwerfen. Unliebsame Kulturmanager ersetzt die Ministerin durch treue Gesinnungsgenossen, auch wenn die meist keine bis wenig Erfahrung auf dem Gebiet haben - und verändert so das kulturelle Antlitz des mitteleuropäischen Landes.
"Ich glaube, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass ein großer Teil des Kulturspektrums vollkommen zerstört sein wird", sagt Drlička. Seine düstere Ahnung: "Institutionen werden verschwinden. Das passiert jetzt schon. Und der zweite Teil wird gleichgeschaltet."
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Kultur soll nur slowakisch sein
Dem geschassten Theaterdirektoren warf Ministerin Šimkovičová im Nachhinein vor, seine Position "mit politischem Aktivismus" zu verwechseln. Darüber hinaus habe er zu viele Künstler aus dem Ausland engagiert - statt slowakischen. Kunst soll aber in den Augen der Ministerin eine nationale Angelegenheit sein: Slowakische Kultur dürfe nur slowakisch sein, verkündete sie, und stellte klar: eine Vermischung der Kulturen akzeptiere sie nicht.
"Kultureller Kahlschlag"?
Wer Šimkovičová und ihre Ansichten infrage stellt, bekommt ihre Macht schnell zu spüren. Der Schriftsteller Michal Hvorecký ist einer jener Kritiker, gegen die die Kulturministerin vorgeht. "Neofaschistisch" nannte er die Ministerin in einem Artikel im Jahr 2023 - und wurde prompt von dieser angezeigt. Für Hvorecký ist das Vorgehen ein klarer Versuch, kritische Stimmen einzuschüchtern. Auch er sieht eine Gefahr für das gesamte Land: "Es droht tatsächlich ein kultureller Kahlschlag in der Slowakei."
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Regierungskoalition mit der neuen Rechten
Darüber hinaus ist die Slowakei laut Hvorecký ein Menetekel für ganz Europa: "Das Beispiel Slowakei zeigt, was für katastrophale Konsequenzen eine Koalition mit neuen Rechten haben kann." Seit Herbst 2023 koaliert Ministerpräsident Robert Fico mit der rechtspopulistischen Slowakischen Nationalpartei (SNS), der auch die Kulturministerin Šimkovičová angehört.
Zwar gilt Fico selbst als linkspopulistisch, er schlägt jedoch immer wieder auch nationalistische Töne an. Fico brauchte die rechte SNS - neben einer Abspaltung seiner Smer-Partei - als Mehrheitsbeschafferin. Ministerin Martina Šimkovičová erhielt somit weitgehend freie Hand, die kulturellen Institutionen nach ihrem Gusto umzugestalten.
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Proteste gegen rechte Kulturministerin
In fast jeder der ihr unterstehenden Einrichtungen tauschte sie die Führung aus. Doch gegen ihr Vorgehen wächst der Protest. "Die Kultur ist zu einem großen gesellschaftlichen Thema der Slowakei geworden", beobachtet Schriftsteller Hvorecký.
So verlesen die Schauspieler des Nationaltheaters etwa nach jeder Vorstellung eine Protestnote, und zu Beginn der Woche kündigten einhundert Mitarbeiter der Nationalgalerie aus Frust über die von Šimkovičová eingesetzte Führung. Außerdem ziehen Tausende Menschen im ganzen Land auf die Straße, um für eine freie und vielfältige Kultur und den Erhalt der Demokratie zu demonstrieren.
Fast die Hälfte aller Menschen weltweit lebt offiziell in einer Demokratie. Noch - denn viele der Länder zeigen immer stärker autoritäre Züge, wie eine neue Studie belegt.
Kulturschaffende zeigen sich vereint
"Frau Šimkovičová ist eine Sache gelungen: Sie hat das ganze Kulturspektrum vereint", sagt der ehemalige Direktor des Nationaltheaters, Matej Drlička, mit Blick auf die Solidarität im ganzen Land. Er ist sich sicher: Wenn diese Regierung aus dem Amt ist, werde diese Gemeinschaft auch die Kultur wieder zu neuem Leben erwecken. Autor Hvorecký teilt diese Zuversicht: "Ich glaube, diese Gesellschaft ist noch zu retten. Wir tun alles in unserer Macht stehende, um die Demokratie zu retten."
Quelle: dpa
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