Ex-Manager von Wirecard: Marsalek und sein Geheimleben in Moskau

Exklusiv

Aktuelle Fotos und Handydaten:Das geheime Leben des Jan Marsalek in Moskau

Christian Rohde, stellv. Redaktionsleiter Frontal 21
von Christian Rohde
|

Fotos, Pass- und Handydaten belegen erstmals, wie Jan Marsalek unter falscher Identität in Moskau lebt. Der Ex-Wirecard-Manager arbeitet offenbar für den russischen Geheimdienst.

Russland, Moskau, Trubnaya Square

Aktuelle Fotos, Pass- und Handydaten belegen erstmals, wie Jan Marsalek unter falscher Identität in Moskau lebt. Demnach arbeitet der Ex-Wirecard-Manager offenbar für den russischen Geheimdienst.

16.09.2025 | 8:38 min

Das letzte öffentlich bekannte Foto zeigt den weltweit Gesuchten in russischer Kampfmontur - ein Selfie-Gruß aus Moskau. Jan Marsalek in Uniform mit großem "Z" auf der Brust. Fünf Jahre ist es her, dass der Ex-Wirecard-Vorstand nach dem Crash des milliardenschweren Konzerns in die russische Hauptstadt floh. In Moskau genießt der Flüchtige den Schutz des Kremls. Für westliche Ermittler unerreichbar.

Marsalek in Kampfmontur: Zum Kampfeinsatz in die Ukraine?

Marsalek in Kampfmontur: Zum Kampfeinsatz in die Ukraine?

Quelle: Metropolitan Police London

Überwachungskameras zeigen Marsalek auf dem Weg zur FSB-Zentrale

Reporter von ZDF Frontal, dem "Spiegel", dem österreichischen "Standard", "PBS Frontline" und "The Insider" konnten in einer monatelangen Recherche den einstigen Wirecard-Überflieger in Moskau ausfindig machen. Zahlreiche Bilder von Überwachungskameras zeigen Marsalek in Schlips und Anzug auf dem Weg von der U-Bahn in die Zentrale des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB in Moskau. Zwischen Januar und November 2024 wurde sein Handy 304-mal in der Nähe der FSB-Zentrale in Moskau Lubjanka erfasst.

Dazu kommen mehr als 100 weitere Signalerfassungen eines seiner Handys ganz in der Nähe der Geheimdienstzentrale. Für die Fahrt zum Dienstort nutzt der Agent offenbar die Moskauer Metro. Quellen in Moskau bestätigen, dass er für den russischen Dienst tätig sein soll.

Splitscreen, rechts: Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek macht Selfie in Kampfuniform. Links: Fotos von Personen aus dem Spionagering, den Marsalek weltweit gesteuert hatte.

Vom Wirecard-Vorstand zum russischen Spion: Wir haben Chats und Ermittlungsakten ausgewertet, die offenbaren, wie tief Jan Marsalek in Mord- und Spionagepläne des Kreml verstrickt ist.

25.06.2025 | 11:32 min

Woher kommen die Informationen? Russland ist ein Überwachungsstaat. An jeder Ecke der Hauptstadt sind Kameras installiert. Deren Bilder landen in Datenbanken. Über Funkmasten lässt sich jedes Handy orten. Die Regierung sammelt alle möglichen Informationen. Das fängt bei Flugbuchungen an, geht über Zugreisen und hört bei Bildern aus Überwachungskameras nicht auf. Hacker stellen solche Daten immer wieder öffentlich ins Netz. Auch unzufriedene Mitarbeiter in russischen Behörden oder Unternehmen stellen immer wieder solche Daten zur Verfügung. Wenn man weiß, wonach man suchen muss, kann man so fast jede Person, die sich in Moskau bewegt, finden "Und so können wir auch das Leben von Jan Marsalek in Moskau fast schon minutiös nachzeichnen", beschreibt Roman Lehberger vom Spiegel die Arbeit des Rechercheteams.

Mehr als ein halbes Jahr haben Reporter von ZDF Frontal, dem "Spiegel", dem österreichischen "Standard", "PBS "Frontline" und "The Insider" Daten und Ermittlungsakten ausgewertet, Fotos analysiert und Quellen aus dem Geheimdienstumfeld gesprochen.


Nach den Recherchen nutzt Marsalek mehrere Schein-Identitäten, seit neuestem einen echten russischen Pass. Eine Kopie liegt ZDF Frontal vor. Demnach ist Marsalek angeblich am 22.02.1978 im sowjetischen Riga geboren, sein neuer Tarnname lautet Alexander Michaelowitsch Nelidov. Handydaten zeigen außerdem: Marsalek scheint regelmäßig in einem IBIS-Hotel in der Moskauer Innenstadt abzusteigen. Eines seiner Handys loggt sich immer wieder in einen Funkmast ganz in der Nähe ein.

Pass, Alexander Nelidov

Marsalek mit neuem Pass und neuem Tarnnamen: Alexander Nelidow


Marsaleks neue Freundin als Kurier für den FSB?

Viele Fotos, die dem Rechercheteam vorliegen, zeigen Marsalek immer wieder in Begleitung einer Frau. Ihr Name ist Tatiana Spiridonova, 41 Jahre, Übersetzerin. Von ihr habe Marsalek russisch gelernt, sagen Eingeweihte. Sicher scheint: Marsalek ist seit seiner Flucht regelmäßig in ihrem Apartment im Zentrum der russischen Hauptstadt.

Russland, Moskau, Trubnaya Square

Unantastbar für westliche Ermittler und Agenten: Marsalek mit Freundin Spiridonowa im Juli in Moskau

Quelle: ZDF / Spiegel

Daten belegen: Auch das ZDF Frontal bekannte Handy wird von Funkmasten ganz in der Nähe erfasst. Marsaleks Gefährtin erledigte offenbar Kurierdienste in seinem Auftrag, ihres Agenten-Freundes. Mindestens zweimal reiste sie von Moskau nach Istanbul und wenige Stunden später zurück. Das belegen Flugdaten, die dem Rechercheteam vorliegen. Ende Dezember '22 soll sie wohl heiße Ware nach Russland schmuggeln. Ein Laptop, dessen Sicherheitstechnik für den FSB von Interesse ist.

Auch das belegen Chatnachrichten, die aus Ermittlungsakten stammen. Marsalek chattet am 12. Dezember 2022 kurz vor Mitternacht an einen Agenten wegen der Übergabe des Laptops am Flughafen Istanbul: "Wo soll meine Freundin hingehen, wenn Sie gelandet ist?" Und weiter: "Das Mädchen schlägt vor, dass sich alle im Büro des Schmugglers treffen sollten". Am Tag darauf meldet Marsalek Erfolg. Das Laptop habe den Zoll ohne weitere Probleme passiert und "ist jetzt in einem Auto auf dem Weg nach Lubjanka." - also der Zentrale des FSB.

Fahnungsplakat Jan Marsalek

Frontal deckte auf, dass der ehemalige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek für russische Geheimdienste arbeitet. Jetzt hat der Strafgerichtshof in London einen Agentenring verurteilt.

11.03.2025 | 1:45 min

Daten und Quellen: Marsalek war offenbar im Kriegsgebiet

Datenanalysen belegen außerdem Reisen von Marsalek ins Kriegsgebiet in der Ostukraine und ins russisch besetze Mariupol. Nach Aussagen von Eingeweihten in Moskau soll er dort an Einsätzen hinter den Frontlinien beteiligt gewesen sein. Das vor Ort zu überprüfen ist für westliche Journalisten fast unmöglich. Dem Rechercheteam liegt eine aktuelle Handynummer Marsaleks vor.

Als Reporter von ZDF Frontal und "Spiegel" von Deutschland aus anrufen, klingelt es ein paar mal. Die Nummer funktioniert. Dann drückt der Angerufene weg. Doch es kommt ein Chat per Telegram zustande. Das Profilbild der verknüpften Nummer - ein Bär in Schwarz-Weiß mit Sonnenbrille. Wir stellen uns vor, bitten um Rückruf, erst auf Deutsch, dann auch auf Russisch. Der Angesprochene will wissen, mit wem er es zu tun hat. Wir sagen nochmal, wer wir sind und was wir wollen. Nach zwei Minuten Pause kommt eine Chat-Antwort in gebrochenem Russisch: "Здесь таких нет. Вы ошиблись номером" - "Hier gibt es keine solchen Nummern. Sie haben sich vertippt."

Man sieht Jan Marsalek, Ex-Wirecard-Vorstand

Ein Spionageprozess in London lässt aufhorchen: Ein Ring aus Agenten soll im Auftrag von Jan Marsalek, Ex-Wirecard-Vorstand, für Russland spioniert haben - auch in Deutschland.

28.11.2024 | 2:57 min

Marsalek wird von deutschen Ermittlern international wegen Milliardenbetrugs und dem Verdacht auf Spionage gesucht. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit. Im Mai dieses Jahres wurden in Großbritannien Mitglieder eines Agentenrings verurteilt, den der "russische Agent Jan Marsalek" laut Gericht angeführt hat.

Die Verhandlung brachte Mord- und Entführungspläne von Kremlgegnern in Europa ans Licht - aber auch Spionage-Aktionen an Truppenübungsplätzen in Deutschland. ZDF Frontal und "Spiegel" schickten einen umfangreichen Fragenkatalog an den flüchtigen Ex-Wirecard-Manager. Doch weder Marsalek noch sein Anwalt äußerten sich zu Vorwürfen und Nachfragen.

Christian Rohde ist stellvertretender Leiter der Redaktion ZDF frontal, Mitarbeit: Katja Belousova, Christo Grozev, Roman Dobrokhotov

Mehr zum Thema