Interview
Mullahs als Richter:Irak: Rolle rückwärts bei Frauenrechten
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Einst galt der Irak in der arabischen Welt als Vorreiter in Sachen Geschlechtergleichheit. Heute bauen die Mullahs ihre Macht aus - und mit ihnen das Regime im Nachbarland Iran.
Große Frauenporträts hängen in der Anwaltskanzlei von Muhammad Jumaa. Frauen, deren Haare im Wind wehen und deren Blicke und Gesten herausfordern. Jumaa ist einer von neun Irakern, die gegen das neue Personenstandsrecht klagen. Das hebelt eines der fortschrittlichsten Familiengesetze der arabischen Welt aus - und ermöglicht den Männern, nun auch Mullahs in Heirats-, Scheidungs- und Erbschaftsangelegenheiten urteilen zu lassen. "Seit März haben viele Männer - selbst geschiedene Männer - begonnen, ihre Eheverträge ändern zu lassen - gemäß dem schiitischen Religionsrecht", erklärt Jumaa.
Oft ohne dass ihre Frauen davon wissen. Warum? Die Scharia erlaubt ihnen, keinen Unterhalt mehr zu zahlen. Und ihren Frauen das Sorgerecht für Kinder ab sieben Jahren zu entziehen. Es geht um Geld und um Macht.
Muhammad Jumaa, Rechtsanwalt
Wer die Familie kontrolliert, kontrolliert die Frau
Zwei Jahrzehnte lang versuchten Politiker, die dem iranischen Regime nahestehen, in jeder Legislaturperiode das Familienrecht zu ändern und Kleriker in Frauen- und Familienfragen entscheiden zu lassen. 2003 - mit dem Einmarsch der USA - waren diese Parteien und Milizen an die Macht gespült worden. Ähnlich wie im Iran streben sie eine Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten an.
Jeder ihrer Anläufe im Parlament scheiterte am lauten Widerstand von Frauenrechtlerinnen und Aktivisten. Doch mittlerweile geben diese Fraktionen - die in Wahlen nur schwache Ergebnisse erzielt hatten - in der Regierung den Ton an. Sie wissen genau: Wer die Familie kontrolliert, kontrolliert die Frau - und kontrolliert damit den irakischen Staat.
"Die Lage ist brandgefährlich. Wir haben ohnehin schon hohe Kriminalitätsraten in der Familie", erklärt Rechtsanwalt Jumaa. "Jeden dritten Tag begeht eine junge Irakerin Selbstmord, so die Statistiken unserer Menschenrechtskommission. Wir geben den Frauen kaum berufliche Perspektiven, kaum Möglichkeiten."
Und jetzt - jetzt können die Männer den Frauen auch noch das Recht auf Mutterschaft entziehen und ihnen die Kinder wegnehmen. Das ist unmenschlich - und wird noch mehr Gewalt in der Gesellschaft hervorrufen.
Muhammad Jumaa, Rechtsanwalt
Kritik am Regime im Iran
Viele Frauen, die in TV-Debatten und Demonstrationen über Monate gegen das neue Gesetz protestiert haben, zeigen mit dem Finger auf den Iran. Irans Regime beute den Irak nicht nur wirtschaftlich aus - es wolle auch die Mentalität der Iraker ändern, kritisieren sie.
1959 entzog der irakische Gesetzgeber den Mullahs die Macht und schützte Frauen vor der Willkür der Stammes- und Religionsführer. "Die Enkel jener Mullahs haben sich nun dafür gerächt - und das Rad zurückgedreht", sagt Anwalt Jumaa.
Neues Gesetz legalisiert Kinderehen
Es geht nicht nur um das Sorgerecht. Das neue Gesetz legalisiert die Kinderehe - in einem Land, in dem illegale Kinderehen zuletzt deutlich angestiegen sind. Es macht die ehelichen Alimente von der sexuellen Pflichterfüllung der Frau abhängig, legalisiert kurzzeitige, sogenannte Lustehen - und verwehrt Witwen ihr Erbe. Die Frau werde zum "Wegwerf-Artikel", zur "Harems-Geliebten", klagen die Gesetzeskritiker.
Drohungen gegen Aktivistinnen
Mit ihrem mächtigen Medienapparat haben die pro-iranischen Parteien die Kritiker erst einmal von der Straße vertrieben. Hassnachrichten und Mordaufrufe sind der Grund, warum einige Aktivistinnen von Bagdad nach Erbil, in die kurdische Autonomieregion, flüchten mussten oder mit ihrem Klarnamen nicht mehr auftauchen.
Die Journalistin und Aktivistin Reya Faeq musste mit ihrer Familie in eine bewachte Wohnanlage ziehen. Sie leidet unter Panikattacken, weil sie auf der Straße von Männern verfolgt und online bedroht wurde. "Sie haben mir vorgeworfen, Teil einer 'Gender-Verschwörung' zu sein. Und haben uns in ihren Videos als verdorbene Schlampen dargestellt", sagt Faeq.
Kritiker werden zur Zielscheibe
Da Geistliche als unantastbar gelten, gelten ihre Kritiker als gottlos. Damit ist jeder Kritiker des Gesetzes in der Gesellschaft als Zielscheibe freigegeben. "Ich kann diesen Männern nur sagen, dass wir im 21. Jahrhundert nicht das Leben unserer Vorfahren leben können", entgegnet Faeq. "Selbst unsere Propheten und die Heiligen sagen stets, dass wir gemäß der Mechanismen der gegenwärtigen Generation leben sollten. Ich kann unmöglich in der Vergangenheit leben."
Könnte die Klage gegen die Gesetzesänderung gelingen? Die Kritiker sehen das Recht an ihrer Seite. Doch der politische Druck, sagen sie, könnte stärker sein als das Recht.
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