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Repressionen in Georgien:"Kannten wir so nur aus Dokus über Russland"
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Georgische Behörden gehen zunehmend gegen Journalisten und Opposition vor. Verhaftungen sind an der Tagesordnung, kaum ein wichtiger Oppositionspolitiker ist noch auf freiem Fuß.
"Agenten, Verräter" steht vor der Eingangstür von Tamar Kintzuraschwilis Büro, mitten in Tiflis, der Hauptstadt von Georgien. Und: "Hier arbeiten pseudo-liberale Faschisten". Dazu Plakate von Tamar, abgebildet wie auf einem Fahndungsbrief.
Maskierte Männer haben die Plakate am Büro der Journalistin angebracht, die Wände beschmiert - das zeigen Aufnahmen einer Überwachungskamera. Die Vorfälle ereigneten sich bereits im vergangenen Jahr, gefunden wurden die Männer bis heute nicht.
"All das wurde von den Strafverfolgungsbehörden nicht einmal untersucht", sagt Tamar, deren "Media Development Foundation" Journalisten im Bereich der Desinformation und Faktenchecks ausbildet. Auch E-Mails und Anrufe mit Drohungen gegen sie und ihr Team habe es gegeben.
Solche Attacken kannten wir bislang nur aus Dokumentationen über Russland.
Tamar Kintzuraschwili, Media Development Foundation
Pressefreiheit in Georgien nimmt weiter ab
Seit den Parlamentswahlen im vergangenen Oktober ringt Georgien um seinen Weg. Seit Monaten gehen vor dem Parlament in Tiflis pro-europäische Demonstranten auf die Straße, fordern eine Rückkehr des Landes auf einen Kurs Richtung EU. Der Regierung werfen sie vor, sich zunehmend Russland zuzuwenden, immer härter gegen Kritiker vorzugehen.
Die aufgeheizte Stimmung schlägt sich zunehmend auch in Angriffen auf Journalisten nieder, mehr als 300 Fälle soll es allein seit Mai gegeben haben. Mal sind es Vermummte, die Journalisten im Umfeld von pro-europäischen Protesten attackieren, mal Einschüchterungen, wie im Fall von Tamar.
"Dass keiner dieser Fälle verfolgt wurde, obwohl die Täter teils bekannt sind, verstärkt die Bedrohung gegenüber Journalisten zusätzlich", meint Mamuka Andguladze, der sich mit anderen Medienschaffenden zusammengeschlossen hat, weil der Druck auf unabhängige Journalisten immer größer wird. 17 NGOs umfasst der Verband bereits, der sich für die Pressefreiheit im Land einsetzt.
Die wird immer stärker eingeschränkt. Die Möglichkeit über Gerichtsprozesse zu berichten, wurde erst kürzlich beschränkt. Ein Fernsehsender stellte den Betrieb ein, nachdem der Leiter des Senders verhaftet wurde.
Wir befinden uns in einer Situation wie in einem freien Fall.
Mamuka Andguladze, Journalist
Regelmäßige Verhaftungen von Oppositionellen
Die Regierungspartei "Georgischer Traum" scheint all das wenig zu kümmern - sie sitzt seit Monaten allein im Parlament. Die Oppositionsparteien boykottieren den Parlamentsbetrieb, erkennen die Parlamentswahlen im vergangenen Jahr nicht an.
Mittlerweile dürfte es der Opposition allerdings ohnehin schwerfallen, die ihr zustehenden Plätze im Parlament zu füllen. Ein Großteil der führenden Oppositionspolitiker sitzt inzwischen im Gefängnis. Verhaftungen gehörten in den vergangenen Wochen zum georgischen Alltag.
Georgiens Opposition fordert internationale Unterstützung
Helen Khoshtaria, Vorsitzende der Partei "Coalition of Change" (übersetzt: "Koalition der Veränderung"), ist eine der wenigen Oppositionellen, die noch auf freiem Fuß ist. Sie fordert ein schärferes Vorgehen der internationalen Gemeinschaft gegen die Regierungspartei "Georgischer Traum". Ihre Oppositionsarbeit will sie trotz aller Gefahren nicht aufgeben.
Die Opposition ist bereit zu kämpfen. Und die Menschen im Land sind es auch.
Helen Khoshtaria, Vorsitzende der Partei "Coalition of Change"
Am Rande einer Razzia gegen Oppositionelle vor wenigen Tagen berichtet Khoshtaria weiter: "Wir wissen, dass unsere europäische Zukunft auf dem Spiel steht".
"Freedom of Speech Award" an georgische Journalistin
Auch für Tamar Kintzuraschwili ist Aufgeben keine Option - trotz Einschüchterungen und der Schmierereien an ihrem Bürogebäude. Gemeinsam mit ihrem Team will sie weiter georgische Journalisten ausbilden, mit Schülerinnen und Schülern arbeiten, um deren Medienkompetenz zu verbessern.
Für ihre Arbeit wurde Kintzuraschwili am Montagabend in Bonn mit dem "Freedom of Speech Award" der Deutschen Welle ausgezeichnet. Den Preis widmete sie all jenen Georgiern, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzen.
Felix Klauser berichtet über Russland, den Kaukasus und Zentralasien.
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