Zwischen Feiern und Trauern:Wie das Bolsonaro-Urteil Brasilien spaltet
Die einen feiern, die anderen trauern: Mit dem historischen Bolsonaro-Urteil hat Brasilien sich als wehrhafte Demokratie erwiesen - doch die Rechten sind noch lange nicht am Ende.
In Brasilien wurde Ex-Präsident Bolsonaro zu über 27 Jahren Haft wegen eines Putschversuchs gegen seinen Nachfolger Lula verurteilt. Seine Anwälte wollen das Urteil anfechten.
12.09.2025 | 1:53 minEs ist ein Anblick, der am Morgen nach dem historischen Urteil gegen Ex-Präsident Jair Bolsonaro und seine Mitverschwörer für Erstaunen sorgt, in der Hauptstadt Brasilia: Mitten durchs Regierungsviertel fährt eine gut zehn Meter hohe Puppe, die den Verurteilten in Sträflingskleidung zeigt. Eine Gruppe von Studenten hatte sie extra für den Tag des Urteils vorbereitet. Singend sitzen sie auf dem Truck, auf dem die Puppe montiert ist.
"Wir sind hier, um unsere Genugtuung über die Verurteilung von Bolsonaro auszudrücken.", sagt Leticia Holanda, eine der Feiernden: "Wir sind stolz auf unser Land, weil es gelungen ist, die brasilianische Demokratie zu verteidigen."
Wir sind stolz auf unser Land, weil es gelungen ist, die brasilianische Demokratie zu verteidigen.
Leticia Holanda, Studentin
Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro wurde wegen eines Putschversuchs zu 27 Jahren Haft verurteilt. Südamerika-Korrespondent Christoph Röckerath zu der Bedeutung des Urteils.
12.09.2025 | 1:51 min- Experten-Interview: Was das Urteil gegen Bolsonaro bedeutet
Sambatanz und Schmählieder auf Ex-Präsidenten
Auch in den beiden größten Städten des Landes feiern sie, tanzen Samba und singen Schmählieder auf den Ex-Präsidenten - ein Karneval außerhalb der Saison.
"Wir sind ein Vorbild für die Demokratie in der ganzen Welt. Unsere Justiz hat funktioniert.", sagt Luiza Viera, eine Grafikdesignerin, die spontan in die Innenstadt von Rio gekommen ist. "Nein zum Putsch! Nein zum Versuch einer Machtergreifung, die uns in die dunklen Zeiten unserer Geschichte zurückgeführt hätte, in die Zeit der Militärdiktatur!"
Kurz vor dem Urteil im Putsch-Prozess gegen Brasiliens Ex-Präsidenten Bolsonaro haben Tausende Anhänger den Unabhängigkeitstag genutzt, um für seine Freiheit zu demonstrieren.
08.09.2025 | 1:38 minKlare Ansage von Staatspräsident Lula da Silva
Auch Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva, dessen geplante Ermordung Teil der Putschpläne gewesen sein soll, äußerte sich, mit einer klaren Ansage in Richtung USA. US-Präsident Donald Trump hatte zuvor versucht, mit Strafzöllen gegen Brasilien und Sanktionen gegen die Richter das Urteil gegen seinen Verbündeten Bolsonaro zu verhindern und auch nach dem Urteil mit nicht näher definierten "Maßnahmen" gedroht.
Wenn Präsident Trump in Brasilien leben würde und das getan hätte, was er im Kapitol getan hat, würde er auch hier vor Gericht stehen, denn hier gilt das Gesetz für alle",
Luiz Inácio Lula da Silva, Staatspräsident
Doch die Lautstärke der Freudenfeiern kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land tief gespalten ist. In den Wochen vor dem Urteil bildeten meist die Unterstützer Bolsonaros die Mehrheit auf den Straßen. Zuletzt am 7. September, dem Nationalfeiertag, als Zehntausende einen Freispruch für Bolsonaro forderten und sich bei Donald Trump für seine Einflussversuche bedankten. Auch von ihnen sind nach dem Urteil einige unterwegs, wenn auch leiser als zuvor.
Beten und USA um Hilfe bitten
Ein paar Dutzend Demonstranten haben sich in Brasilia vor dem Haus versammelt, in dem sich Bolsonaro im Hausarrest befindet. Sie beten, bitten die USA um Hilfe und hoffen darauf, dass das Parlament das Urteil aufheben möge.
Eine Amnestie ist jetzt der nächste Schritt, da die Verurteilung nun eine Tatsache ist
Dorgelina Souza, Rentnerin
Experte: Bolsonaros Bewegung noch nicht am Ende
Eine Amnestie ist möglich, wenn eine Mehrheit der beiden Kammern des Parlaments zustimmt. Aber dies gilt als sehr unwahrscheinlich, sagt Thomas Traumann, Politikberater und Autor. Er ist einer der prominentesten Kenner der politischen Landschaft Brasiliens.
Brasiliens früherer Präsident Jair Bolsonaro ist wegen eines versuchten Staatsstreichs zu mehr als 27 Jahren Haftstrafe verurteilt worden. Die Mehrheit der fünfköpfigen Kammer des Obersten Bundesgerichts sprach den 70-Jährigen schuldig.
12.09.2025 | 2:39 minDennoch sei die Bewegung Bolsonaros mit der Verurteilung nicht am Ende. Zwar sei es historisch, dass erstmals in der Geschichte Brasiliens, in der es 14 Putschversuche gab, die Verantwortlichen, darunter erstmals auch hochrangige Militärs, zur Verantwortung gezogen wurden.
Macht die Strafe Bolsonaro zum Märtyrer
Doch die hohen Strafen könnten diese auch zu Märtyrern machen und der Rechten Brasiliens neuen Auftrieb geben, wenn im nächsten Jahr die Präsidentschaftswahlen anstehen.
"Der Bolsonarismus lebt weiter, auch wenn Bolsonaro selbst an Bedeutung verliert. Jede von ihm unterstützte Person - sei es einer seiner Söhne oder der Gouverneur von São Paulo - hat Chancen auf den Wahlsieg im nächsten Jahr", lautet das Fazit von Traumann.
Brasilien hat sich als wehrhafte Demokratie gezeigt, doch ob das stark polarisierte Land zur Ruhe kommt, ist noch völlig offen.
Christoph Röckerath ist Leiter des ZDF-Auslandsstudios Rio de Janeiro.
Mehr zu Brasilien
- mit Videovon Christoph Röckerath
- 1:53 min
Nachrichten | heute 19:00 Uhr:Bolsonaro wegen Putschversuchs verurteilt
von Christoph Röckerath - 1:25 min
Nachrichten | heute:Historisches Urteil gegen Bolsonaro
von Christoph Röckerath - 1:25 min
27 Jahre Haft:Gericht verurteilt Ex-Präsident Bolsonaro