Mit dem Edelgas Xenon in fünf Tagen auf den Mount Everest
Everest-Besteigung in fünf Tagen:Wie das Gas Xenon beim Bergsteigen helfen kann
von Jennifer Müller, Benno Krieger
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Von zu Hause direkt in die Todeszone: In kürzester Zeit bezwingen vier Briten den höchsten Berg der Welt. Mithilfe des Edelgases Xenon - eine alte Methode mit neuem Potenzial.
Bergsteiger passen sich normalerweise wochenlang vor Ort an die Höhenluft an. Um die Akklimatisation zu verkürzen, wurden vier Briten zuvor mit dem Edelgas Xenon behandelt.27.05.2025 | 5:56 min
Vier ehemalige britische Soldaten haben es in fünf Tagen nach dem Aufbruch aus London auf den Gipfel des Mount Everest geschafft. Auch dank eines medizinischen Experiments. Die Expeditionsteilnehmer inhalierten zwei Wochen vor Beginn unter ärztlicher Aufsicht für etwa 30 Minuten ein Xenon-Sauerstoff-Gemisch.
Zusätzlich schliefen sie bereits mehrere Wochen vorher in sogenannten Hypoxie-Zelten mit geringerem Sauerstoffgehalt. So konnten die vier Probanden auf die wochenlange Akklimatisierung vor Ort verzichten und sich zu Hause vorbereiten.
Furtenbach hat Xenon-Gemisch selbst getestet
Lukas Furtenbach aus Tirol hat die Tour organisiert. Er hat die Behandlung mit dem Xenon-Sauerstoff-Gemisch vorher mehrfach getestet und ist anschließend selbst auf den Mount Everest gestiegen. Nun bietet er als Erster eine Express-Expedition mit Xenon kommerziell an, die britischen Ex-Soldaten waren seine ersten Kunden.
Das war eine Provokation, um zu zeigen, was möglich ist.
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Lukas Furtenbach, Veranstalter von Expeditionen
Ein Dauerthema am Berg ist die Sicherheit. Aktuell sterben pro Jahr etwa 2-5 Prozent der Bergsteiger beim Versuch den Mount Everest zu erklimmen. Ein Drittel der Todesfälle geht auf die Höhenkrankheit zurück: Bei einem zu schnellen Aufstieg ohne Akklimatisierung können Thrombosen in Gehirn oder Lunge auftreten und zum Tod führen.
Bergsteiger, die sich wochenlang vor Ort akklimatisieren, halten sich aber auch länger an exponierten oder vereisten Stellen am Berg auf und sind damit länger solchen Gefahren ausgesetzt. Eine schnelle Expedition wie die mit Xenon sei daher "unbestritten immer ein Zugewinn an Sicherheit", sagt Furtenbach.
Das Inhalieren von Xenon löst im Körper eine Kaskade von Reaktionen aus, die normalerweise automatisch bei einer Unterversorgung mit Sauerstoff auftritt - so wie es auch in großen Höhen der Fall ist.
Xenon dockt im Körper an den Rezeptor HIF-1-Alpha (Hypoxie-induzierter Faktor) an. Das bewirkt, dass die Nieren sprunghaft mehr vom Hormon EPO produzieren, welches dann in den Knochenmark-Stammzellen die Ausreifung der roten Blutkörperchen, den Erythrozyten, befördert. Dadurch kann der Körper mehr Sauerstoff aufnehmen und ihn besser transportieren. Das macht ihn in der Höhe leistungsfähiger.
Die Probanden aus dem experimentellen Setting berichteten auch von einer Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten wie beispielsweise klarer denken zu können. Ob und wie das jedoch mit der Xenon-Gabe zusammenhängt, ist noch nicht ausreichend erforscht. Bekannt ist, dass Xenon auch an verschiedene Rezeptoren im Gehirn andocken kann.
Den Probanden wurde ein Sauerstoff-Gemisch mit einem Xenon-Anteil von etwa 20-30 Prozent verabreicht. Bei einer Narkose mit Xenon beträgt die Konzentration etwa 60-70 Prozent. Eine Inhalation ohne adäquates Gerät und ärztlicher Aufsicht sowie der Konsum von reinem Xenon kann zum Ersticken führen.
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Xenon: In der Medizin erlaubt, im Leistungssport Doping
Xenon wird in der Medizin nur selten als Narkose-Gas eingesetzt, weil es sehr teuer ist. Bekannt aus der Forschung ist aber auch, dass Xenon einen Nutzen bei Herz-Kreislaufproblemen und Nervenerkrankungen haben kann. Die Idee, Xenon vor dem Bergsteigen zu inhalieren, hatte der Anästhesist Michael Fries aus dem hessischen Limburg. Er forscht selbst schon seit über 20 Jahren an dem Edelgas.
Schon vor Jahrzehnten hatten russische Ärzte Xenon erforscht und etwa im Ski-Langlauf und Biathlon zur Leistungssteigerung verabreicht. Nach den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotchi hat die Weltantidopingagentur WADA das Edelgas in die Verbotsliste aufgenommen. Abseits des Leistungssports hält Initiator Michael Fries den Einsatz von Xenon unter strenger ärztlicher Aufsicht für Expeditionen am Berg für vertretbar.
Die Inhalation in dieser geringen Konzentration kann für Bewusstseinstrübungen und in seltenen Fällen für Übelkeit sorgen. Ansonsten hat das keine Nebenwirkungen.
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Michael Fries, Anästhesist
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Ist die Akklimatisierung nur mit Xenon-Gemisch möglich?
Das Team um Expeditionsleiter Furtenbach hat in mehreren Feldversuchen die Blutwerte von über einem Dutzend Extrembergsteigern mit und ohne vorangehende Xenon-Behandlung verglichen. Bei allen Probanden, die das Edelgas-Gemisch inhaliert hatten, will das Team danach auf den Gipfeln eine deutlich höhere Sauerstoffsättigung festgestellt haben.
Der Einschätzung von Lukas Furtenbach zur Folge kann die notwendige Akklimatisierung auch nur mit dem Inhalieren des Xenon-Sauerstoff-Gemischs ohne das Schlafen in Hypoxie-Zelten erfolgen. Denn das hatte er im Rahmen der Versuche ebenfalls probiert.
Ich habe mich noch nie so gut gefühlt bei einer Expedition.
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Lukas Furtenbach, Veranstalter von Expeditionen
Der internationale Bergsteigerverband UIAA sieht das Inhalieren von Xenon bisher kritisch, da noch nicht viele Studienergebnisse für den Einsatz für extreme Höhen vorliegen. Auch der Kardiologe, Höhenmediziner und Bergsteiger Ulf Gieseler mahnt zur Vorsicht.
Wie immer in der Medizin muss man abwarten, wenn man mal 1.000 Bergsteiger untersucht hat, dann kann es schon sein, dass sich da noch etwas ändert.
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Ulf Gieseler, Höhenmediziner
Dank des Mount Everests haben es viele Sherpas zu Wohlstand gebracht. Das Leben der Sherpas hingegen, die abseits der Touristenströme leben, ist geprägt von Armut. 20.01.2025 | 42:00 min
Kann Xenon die Zukunft am Mount Everest verändern?
Mount-Everest-Expeditionen boomen: Hunderte Menschen brechen jedes Jahr auf zum Gipfel. Ob die Xenon-Methode für eine breitere Masse in Frage kommt, ist noch unklar. Leicht zu kopieren ist sie wohl nicht: Fries sagt, er verfüge über eines der wenigen für die Verabreichung spezialisierten Geräte und das nötige Know-how. Zudem sei das Programm nur für erfahrene und fitte Bergsteiger gedacht.
Ich könnte mir vorstellen, wenn das ohne Nebenwirkungen funktioniert, wird es für die Zukunft eine Änderung des Höhenbergsteigens haben, zumindest für die Klientel, die sich das finanziell leisten kann.
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Ulf Gieseler, Höhenmediziner
150.000 Euro pro Person kostet die Express-Expedition mit Xenon - und zählt damit zu den teuersten Touren. Trainierte Höhenbergsteiger mit dem nötigen Kleingeld könnten so künftig aber viel Zeit sparen.