München Reichenbachstraße:Wiedergeburt einer fast vergessenen Synagoge
Aus den Augen, aus dem Sinn - so wäre es der Synagoge in der Münchener Reichenbachstraße fast ergangen. Nun wird das von den Nazis verwüstete Gotteshaus wieder eingeweiht.
Innenansicht der Synagoge in der Reichenbachstraße in München.
Quelle: Thomas DashuberRachel Salamander ist nervös, aufgeregt und zugleich voller Vorfreude. Mehr als 14 Jahre hat die Buchhändlerin und Gründerin des Vereins 'Synagoge Reichenbach' alles gegeben für die Rettung dieses Gebetshauses, eine der wenigen Bauhaus-Synagogen weltweit.
Am Montag kommen Bundeskanzler Friedrich Merz, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch und 460 geladene Gäste zur Wiederöffnung dieses architektonischen Juwels.
Rachel Salamander: Synagoge zeigt anderes Bild vom Judentum
Nicht nur für die Münchener Jüdinnen und Juden hat dieses Gebäude, welches wieder als ritusfähiges Gebetshaus genutzt werden soll, große Bedeutung. Darüber hinaus könnten hier auch für nichtjüdische Bürgerinnen und Bürger Vorträge, Konzerte und bildungspolitische Programme stattfinden, sagt Salamander.
"So können Schulklassen auch mal ein anderes Bild vom Judentum sehen. Man muss nicht ins KZ gehen, um jüdische Geschichte zu lernen", so Salamander, die prophezeit, dass das Gebäude für die Stadt 'eine Attraktion ersten Ranges' werden wird.
In Potsdam ist die neue Synagoge eröffnet worden. Gäste und Gemeindemitglieder betonen den Stellenwert der jüdischen Gemeinden - und warnen vor wachsender Hetze gegen Juden.
04.07.2024 | 1:52 minSalamander über Architektur: "Regelrechter Farbrausch"
Errichtet wurde die Synagoge im sogenannten Münchener Glockenbachviertel 1931 für etwa 2.300 Jüdinnen und Juden, die aus Osteuropa nach München geflohen waren - vor Armut und Antisemitismus. Der Architekt Gustav Meyerstein, dem 1933 die Emigration ins damalige Palästina gelang, entwarf das Gebäude mit kleinem Budget im Stil der 'Neuen Sachlichkeit'.
Klare Linien, funktionale Formen, minimalistisch und modern, aber mit auffälliger Farbgestaltung: "Es muss eine Farbmagie gewesen sein, ein regelrechter Farbrausch im Zusammenspiel von Licht und Farbe", schwärmt Salamander.
Zum Jubiläum des Zentralrats der Juden mahnt Präsident Josef Schuster vor neuem Antisemitismus. Dem schließen sich auch Bundespräsident und Kanzler an. Ein Blick auf die Anfänge.
19.07.2025 | 2:07 minSynagoge wird in Reichspogromnacht verwüstet
Sieben Jahre nach der Eröffnung wurde die Synagoge - wie so viele andere im Land - von Nationalsozialisten in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 verwüstet und in Brand gesetzt. Ein Glücksfall: Die Feuerwehr löschte den Brand, bevor das Gebäude ganz abbrannte - nicht zur Rettung der Synagoge, sondern zum Schutz der Nachbarhäuser. Danach wurde das Gebäude als KFZ-Werkstatt und Warenlager zweckentfremdet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gotteshaus notdürftig restauriert, aber nicht mehr in den Originalzustand gesetzt. 1947 wieder eingeweiht, diente es als Provisorium für die 84 überlebenden Münchener Juden und sogenannte Displaced Persons (DPs), die Holocaust und Vertreibung überlebt hatten und nun auf der Durchreise waren Richtung Israel oder Amerika.
Auch Rachel Salamander, 1949 in Deggendorf geboren, kam Mitte der 50er Jahre mit ihrer Familie aus einem DP-Lager in Föhrenwald nach München. Auch sie besuchte mit ihrem älteren Bruder zu Festtagen die Reichenbachsynagoge.
Sie erinnert sich noch gut an die feierlichen Gottesdienste, vor allem an das Totengebet: "Die Synagoge bestand ja hauptsächlich aus Überlebenden. Beim liturgischen Totengebet erfasste ein tiefes Schluchzen das Bethaus. Jeder hat um Menschen, die ermordet wurden, geweint. Das steckt mir immer noch in den Knochen", so Salamander.
Shelly, 28, will jüdisches Leben sichtbar machen. Sie organisiert Begegnungen von jüdischen mit nicht-jüdischen Menschen. Yahya, 33, kam als Kind aus Aserbaidschan, er kennt Antisemitismus.
08.09.2024 | 27:08 minSynagoge am Münchner Jakobsplatz wird 2006 zur Hauptsynagoge
Bis zur Eröffnung der prächtigen Synagoge am Münchener Jakobsplatz im Herzen von München im Jahr 2006, blieb das Gebetshaus im Hinterhof der Reichenbachstraße die Hauptsynagoge der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und das Zentrum jüdisch-religiösen Lebens in München.
Dann fiel sie in Vergessenheit - bis Salamander 2011 zufällig dort vorbeikam und durchs Fenster schaute:
Als ich sah in welchem Zustand die Synagoge war, versetzte das mir einen Stich, und ich entschloss mich sofort dieses Schmuckstück zu retten.
Rachel Salamander
Salamander hat nicht nur viele Jahre ihres Lebens in dieses Projekt gesteckt, sondern auch sehr viel Energie und Herzblut, um diese architektonische Perle wieder so zu errichten wie sie einst 1931 erbaut wurde.
Die Nazis wollten jüdische Musik auslöschen, doch sie lebt weiter. Forscher entdeckten verschollene Schallplatten. Davon erzählt die Dokumentation "I dance but my heart is crying".
11.04.2024Bund, Land und Stadt München übernehmen Großteil der Sanierungskosten
Schicht für Schicht hat sie fein säuberlich den Putz im Gebetshaus abtragen lassen, um die Originalfarben frei zu legen. Die mit Ornamenten verzierten Glasfenster wurden anhand von Fotografien und Mustern originalgetreu rekonstruiert, ebenso wie die mundgeblasenen Leuchtkörper. Der Thora-Schrein bekommt einen Vorhang aus gewebtem Stoff der Münchener Bauhaus-Meisterin Gunta Stölzl, die 1936 in die USA emigrierte.
Salamander hat den in New York lebenden Enkel Stölzls ausfindig gemacht, der drei Originalstoffe seiner jüdischen Großmutter in deren Geburtsstadt München gebracht hat - als Schenkung für die neue alte Synagoge.
Eine Lichtinstallaton weist auf die Geschichte der Synagoge in der Reichenbachstraße hin.
Quelle: dpaDie Planungs- und Sanierungskosten von rund 14 Millionen Euro teilen sich je zu 30 Prozent Bund, Land und die Stadt München. Der Verein 'Reichenbach Synagoge' übernimmt die restlichen zehn Prozent. Nach über 90 Jahren erhält die jüdische Gemeinschaft dank des enormen Engagements von Salamander ein fast vergessenes Gebethaus zurück und München ein einzigartiges architektonisches Baudenkmal.
Jutta Sonnewald berichtet aus dem ZDF-Studio in München.
Mehr zum Thema jüdisches Leben
- 1:45 min
Nachrichten | heute 19:00 Uhr:75 Jahre Zentralrat der Juden
von R. Leskovar / M. Gross Schweigeminute bei Filmpreis:Große Trauer um Holocaust-Überlebende Friedländer
Dokumentarfilm:Wie jüdische Musik die NS-Zeit überlebte
von Christhard LäppleGegen Antisemitismus und Rassismus:Ein Fußball-Turnier als Bühne und Lernort
von Ralf Lorenzen