Fall Luise: Familie verlangt in Zivilprozess Schmerzensgeld
Verfahren um getötete 12-Jährige:Fall Luise: Familie verlangt Schmerzensgeld
von Katharina Reiter
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Die Tötung der zwölfjährigen Luise aus Freudenberg durch zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren sorgte bundesweit für Entsetzen. Nun startete das Zivilverfahren.
Nach der Tötung der zwölfjährigen Luise aus Freudenberg beginnt nun das Zivilverfahren.
Quelle: dpa
Im März 2023 töteten zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren in Freudenberg (Nordrhein-Westfalen) ihre gleichaltrige Freundin, Luise, durch 74 Messerstiche. Aus Chatverläufen ging hervor, dass sie die Tötung mehrere Tage zuvor geplant hatten.
Die Tat löste nicht nur bundesweit Bestürzung, sondern wieder einmal eine Debatte über die Frage aus, ob die Strafmündigkeitsgrenze von 14 Jahren herabgesetzt werden sollte. Im Rahmen eines Zivilverfahrens vor dem Landgericht Koblenz müssen sich die Täterinnen nun erstmalig vor Gericht verantworten. Im Rahmen dieses Verfahrens geht es jedoch nicht um strafrechtliche, sondern um zivilrechtliche Fragen.
Wieso gab es kein Strafverfahren?
Der Durchführung eines Strafprozesses sowie einer Verurteilung wegen Totschlags beziehungsweise Mordes stand aufgrund ihres Alters im Tatzeitpunkt die fehlende Strafmündigkeit der Mädchen entgegen. Die Ermittlungen wurden daher eingestellt.
Die Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren hatten gestanden, die zwölfjährige Luise aus dem nordrhein-westfälischen Freudenberg erstochen zu haben.
14.03.2023 | 1:07 min
Auch aufgrund der Brutalität, mit der die Mädchen vorgingen, entbrannte im Zuge der Berichterstattung über die Tat daher eine weitere Debatte über die Herabsetzung dieser Grenze. Befürworter sagen, die Reifeentwicklung von Kindern trete heute früher ein, als noch vor einigen Jahrzehnten, als diese Grenze auf 14 Jahre festgelegt wurde. Kritiker sind hingegen der Ansicht, dass die körperliche Reife heute zwar früher eintrete, die sittlich-charakterliche Reife von Kindern hingegen verzögert sei.
Gemäß § 19 StGB tritt nach deutschem Strafrecht die Strafmündigkeit mit dem Alter von 14 Jahren ein. Bei Kindern unter 14 Jahren wird generell angenommen, dass diesen die Fähigkeit fehlt, das Unrecht ihrer Taten einzusehen und entsprechend dieser Unrechtseinsicht zu handeln (Steuerungsfähigkeit). Sie gelten folglich als schuldunfähig. Diese Annahme gilt generell, sodass eine individuelle Einzelfallprüfung nicht stattfindet und Ausnahmen hiervon unzulässig sind. Jüngere Täterinnen und Täter können dementsprechend nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.
Möglich ist allerdings die Anordnung jugendhilferechtlicher Maßnahmen durch die Familiengerichte. Eine der möglichen Maßnahmen besteht zum Beispiel in der freiheitsentziehenden Unterbringung strafunmündiger Täterinnen und Täter in speziellen Einrichtungen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Maßnahmen mit Strafcharakter. Vielmehr sollen derartige Maßnahmen dem präventiven Schutz der Kinder und ihrer Erziehung dienen.
Die Strafmündigkeitsgrenzen im EU-Ausland variieren. In einigen Ländern tritt die Strafmündigkeit wie in Deutschland mit 14 Jahren ein. In vielen Ländern (Dänemark, Finnland, Norwegen, Island, Schweden, Tschechische Republik) liegt die Grenze etwas höher, bei 15 Jahren. In den Niederlanden, Ungarn und in Irland gelten Kinder hingegen schon ab zwölf Jahren als strafmündig, wobei in Irland bei Kindern ab zehn Jahren, die wegen Mordes, Totschlags, Vergewaltigung oder schweren sexuellen Missbrauchs verfolgt werden, von der Grenze abgewichen wird. In Portugal beginnt die Strafmündigkeit ab dem 16. Lebensjahr. In einzelnen Ländern gelten Minderjährige sogar erst ab 17 beziehungsweise 18 Jahren als strafmündig, wobei Ausnahmen möglich sind, wenn unter Abwägung der Persönlichkeit und Reife des Täters eine Sanktionierung verhältnismäßig erscheint.
Welche Rolle spielt das Alter der Mädchen im Zivilprozess?
Der Zivilklage steht die Strafunmündigkeit der Täterinnen im Tatzeitpunkt nicht entgegen, da Straf- und Zivilverfahren unterschiedliche Maßstäbe zugrunde liegen. Zwar spielt das Alter der Täterinnen zum Tatzeitpunkt auch im Rahmen der Zivilklage eine Rolle.
Allerdings gelten im Zivilverfahren andere Altersgrenzen als im Strafverfahren. Im Zivilrecht ist eine Verantwortlichkeit von Kindern für Schäden, die sie verursachen, nur bis zum Alter von sieben Jahren absolut ausgeschlossen.
... dass Kinder bis zu ihrem siebten Geburtstag nicht für Schäden verantwortlich sind, die sie anderen zufügen. Unter gewissen Voraussetzungen können jedoch Eltern von Kindern, die jünger als sieben Jahre sind, für Schäden, die ihre Kinder verursachen, haftbar gemacht werden. Eine weitere relevante Altersgrenze im Zivilrecht liegt bei 10 Jahren. Diese Altersgrenze spielt allerdings nur im Straßenverkehr eine Rolle.
Im Übrigen hängt bei Minderjährigen im Alter von sieben bis 18 Jahren die Frage der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit davon ab, ob das Kind im Zeitpunkt der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatte. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Einsichtsfähigkeit einen Stand der geistigen Entwicklung voraus, der es dem Jugendlichen ermöglicht, das Unrecht seiner Handlung und damit die Verpflichtung zu erkennen, für die Folgen seines Tuns einstehen zu müssen.
Worum geht es im zivilrechtlichen Verfahren?
Die Eltern sowie die Schwester des getöteten Mädchens hatten 2023 einen Zivilprozess in die Wege geleitet. Dieser wird nun vor dem Landgericht Koblenz verhandelt. Wegen der Tötung von Luise verlangen sie von den minderjährigen Täterinnen Schmerzens- und Hinterbliebenengeld sowie Ersatz der Beerdigungskosten.
Schmerzensgeld verlangt die Familie nicht nur für eigene erlittene seelische Schäden, sondern auch wegen der Schmerzen, die Luise während des wohl langen Todeskampfes erlitten haben soll.
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Die Beklagten wiederum bestreiten einen langen Todeskampf und griffen ursprünglich auch die Behauptung an, Luises Familie habe psychische Beeinträchtigungen erlitten. Insgesamt beantragen sie Klageabweisung.
Zur Klärung der zentralen Frage, wie lange der Todeskampf von Luise tatsächlich gedauert hat, hat die Zivilkammer eine Gerichtsmedizinerin als Sachverständige hinzugezogen. Diese soll nun anhand der Aussagen der Mädchen ein schriftliches Gutachten anfertigen.
Die Hinterbliebenen einer getöteten Person haben die Möglichkeit für eigenes aufgrund der Tötung erlittenes seelisches Leid Schmerzensgeld von den Schädigern zu verlangen. Daneben können die Erben der getöteten Person auch Schadensersatz- beziehungsweise Schmerzensgeldansprüche aus - aufgrund des Erbfalls - übergegangenem Recht geltend machen. Dies folgt daraus, dass auch zivilrechtliche Ansprüche ähnlich wie Vermögen im Erbfalle auf die Erben übergehen können.
Die Eltern von Luise könnten daher als gesetzliche Erben auch Schmerzensgeldansprüche gegen die Täterinnen geltend machen, die im Zeitpunkt vor ihrem Tod, Luise gegen die Täterinnen zugestanden hätten. Daneben können die Hinterbliebenen Schadensersatz wegen der Beerdigungskosten verlangen. War die getötete Person im Falle ihrer Tötung einer anderen Person zum Unterhalt verpflichtet, könnte die unterhaltsberechtigte Person außerdem Unterhalt von dem Schädiger verlangen.
Wie läuft das Verfahren ab?
Die zuständige Zivilkammer des Landgerichts Koblenz hatte im Vorfeld das persönliche Erscheinen der Mädchen angeordnet. Die Verhandlung wurde allerdings per Video durchgeführt. Die Mädchen mussten daher nicht vor Gericht erscheinen, sondern konnten sich per Kamera zuschalten.
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Der Anwalt der Kläger, Jochen Alfes, betonte, er hätte es besser gefunden, wenn die Mädchen persönlich vor Gericht erschienen wären. Obwohl diese Vorgehensweise im Zivilprozess unüblich ist, wurden die beiden Mädchen bezüglich des Tathergangs außerdem als Zeuginnen vernommen.
Für die Dauer ihrer Vernehmung wurde die Öffentlichkeit allerdings ausgeschlossen. Wann in dem Prozess ein Urteil getroffen wird, steht noch nicht fest. Es ist auch denkbar, dass die Kammer, sobald das Sachverständigengutachten vorliegt, eine weitere mündliche Verhandlung anberaumen wird.
Katharina Reiter berichtet für die ZDF-Redaktion "Recht und Justiz".