Bundesverwaltungsgericht: Hoffnung für Contergan-Opfer

Bundesverwaltungsgericht:Hoffnung für Contergan-Opfer

Christoph Schneider
von Christoph Schneider
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Kann jemand als Contergan-Geschädigter anerkannt werden? Ein 63-Jähriger kämpft vor dem Bundesverwaltungsgericht darum. Die Vorinstanz gab ihm Recht - und Hoffnung für viele.

Contergan-Tablettenröhrchen
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt an diesem Mittwoch zu Ansprüchen eines Geschädigten im sogenannten Contergan-Skandal.
Quelle: dpa

Es ist hierzulande nicht einfach, als Contergan-Opfer anerkannt zu werden. Das muss auch der 1961 geborene Kläger erfahren, der sich durch alle Instanzen geklagt hat und nun auf ein positives Ende seines mühseligen Rechtswegs hofft.
Seit 14 Jahren versucht er, als Contergan-Geschädigter anerkannt zu werden. In dem langjährigen Verfahren legte der Mann zahlreiche Atteste und Arztberichte vor, die belegen sollen, dass verschiedene Fehlbildungen auf das Medikament Contergan zurückzuführen sind. Seine verstorbene Mutter hatte während der Schwangerschaft das Medikament eingenommen.

Stiftung lehnte Antrag des Klägers ab

Die Conterganstiftung entschied 2015, dass der Antrag des Klägers abzulehnen sei. Daraufhin zog der Mann vor Gericht. Nachdem das Verwaltungsgericht Köln seine Klage abwies, entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster 2023 anders. Das OVG verpflichtete die Conterganstiftung zu einer neuerlichen Prüfung - unter Einhaltung der genau im Conterganstiftungsgesetz niedergelegten Grundsätze.
Doch das will die Conterganstiftung nicht hinnehmen, legte Rechtsmittel ein, so dass der Fall heute grundsätzlich am Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig verhandelt und entschieden wird.

Eigentlich Conterganstiftungsgesetz entscheidend

Eigentlich gibt es klare gesetzliche Regelungen, die im Conterganstiftungsgesetz niedergeschrieben sind. Danach soll bei behaupteten Conterganschäden eine Kommission aus medizinischen Sachverständigen verschiedener Fachbereiche sowie dem Vorsitzenden der Kommission gemeinsam entscheiden.
Doch dann wurde eine Geschäftsordnung verabschiedet, nach der der Vorsitzende der medizinischen Kommission alleine entscheidet, welche ärztlichen Stellungnahmen eingeholt werden. Liegen die vor, gibt der Vorsitzende eine schriftliche Empfehlung für den Stiftungsvorstand ab, der dann entscheidet.
Contergan Tabletten liegen auf einem Tisch.
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Am Ende sind so mit dem Fall lediglich acht Mitglieder der Kommission befasst, nicht aber die gesamten 22 Kommissionsmitglieder. Damit steht für die Conterganstiftung die Geschäftsordnung über dem Stiftungsgesetz.
Doch das geht so einfach nicht. Das OVG macht in der Entscheidung zugunsten des Klägers deutlich, dass nach dem Conterganstiftungsgesetz insgesamt die gesamte Kommission aus medizinischen Sachverständigen verschiedener Fachbereiche und dem Vorsitzenden als 22er-Gremium entscheiden müsse.

Immer noch neue Fälle

Mehr als 60 Jahre nach der Rücknahme des einst so beliebtesten Schlafmittels der späten 1950er und frühen 1960er Jahre durch die damalige Herstellerfirma Grünenthal gehen noch immer zahlreiche Anträge bei der Conterganstiftung auf Anerkennung von Conterganschäden ein.

Contergan-Packungen
Quelle: ZDF

Contergan steht für einen der größten Medizinskandale der alten Bundesrepublik. Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre kamen gut 5.000 Babys mit schweren Fehlbildungen zur Welt, fast die Hälfte von ihnen starb sogar direkt nach der Geburt. 1957 kam Contergan als Schlaf- und Beruhigungsmittel auf den Markt, rezeptfrei und frei verkäuflich, hergestellt von der Firma Grünenthal aus Stolberg bei Aachen.

Mit über 310 Millionen ausgegebenen Tagesdosen war Contergan zwischen 1957 und 1961 eines der beliebtesten Schlafmittel der alten Bundesrepublik. Da es auch gegen Schwangerschaftsübelkeit wirken sollte, als besonders sanft beworben wurde, nahmen es auch Tausende Schwangere ein.

Zwei Jahre nach Markteinführung kristallisierte sich heraus, dass der enthaltene Wirkstoff Thalidomid die Entwicklung der Kinder im Mutterleib stört - später wurde Thalidomid als fruchtschädigend beurteilt. Der Hersteller Grünenthal wies alle Vorwürfe zurück.

Erst Ende 1961 wurde das Medikament wurde vom Markt genommen. 1970 erklärte sich der Hersteller Grünenthal zu einem Vergleich vor Gericht bereit, 100 Millionen Mark in eine "Stiftung Hilfswerk für behinderte Kinder" einzuzahlen - eine Vorläuferin der heutigen Conterganstiftung.

Denn es gibt nicht nur ganz offensichtliche Fehlbildungen, die auf Conterganschädigungen hinweisen, sondern auch auf den ersten Blick unauffälligere Fehlbildungen, die nicht so einfach erkennbar sind. Erst aufmerksame Mediziner diagnostizierten sie - in Verbindung mit den Geburtsjahren der Patienten.
Auch bei dem Kläger geht es um unauffälligere Fehlbildungen, wie eine Kiefer- und Daumenfehlbildung, eine Verengung des Analkanals und eine Sehminderung.
Montage: Im Zentrum ein Steinzeitmensch, dazu Sinnbilder aus den Themenfeldern Atomkraft, Contergan und Finanzkrise.
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Kommission weist die meisten Anträge ab

Doch die Anerkennung von Conterganschäden - sie ist schwierig. Denn die Kommission weist die meisten Anträge ab. 2023 wurde festgestellt, dass von den seit 2009 eingereichten fast 980 Anträgen nur 123 positiv beschieden wurde - eine bescheidene Quote.
Würde das BVerwG am Ende dem Kläger Recht geben und die Conterganstiftung zu einem ordnungsgemäßen neuen Verfahren verpflichten, dann wäre das ein Präzendenzfall und ein ziemlicher Dammbruch für die Conterganstiftung.
Denn zahllose ähnlich gelagerte andere Verfahren, die am Ende in den letzten Jahren zu einer Ablehnung der Anträge durch die Conterganstiftung führten, wurden über die Geschäftsordnung und nicht über das Stiftungsgesetz entschieden. Diese Verfahren müsste sich die Stiftung erneut anschauen und neu bescheiden.
Contergan-Opfer - sie hoffen nun auf das BVerwG und ihre Anerkennung.
Christoph Schneider ist Redakteur in der ZDF-Fachredaktion Recht & Justiz
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