Verhaltensökonom übers Schimpfen:Den Deutschen geht es besser denn je
von Sina Mainitz
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Überall Gemecker - übers Wetter, Inflation, Krisen. Doch objektiv gesehen hat es nie eine bessere Zeit zu leben gegeben. Das sagt IW-Verhaltensökonom Enste im Gespräch. Ein Essay.
Die Deutschen haben allen Grund zum Glücklichsein.
Quelle: Imago
Dominik Enste befasst sich mit Glück in einer Zeit, in der - so zumindest scheint es - viele unglücklich sind. Er beschäftigt sich beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zum Thema Wirtschaftsethik und Lebenszufriedenheit. Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, dennoch landen wir beim Thema Zufriedenheit nicht auf dem Siegertreppchen. Was braucht es also, damit das Glück zurückkehrt in die Köpfe?
Dominik Enste urlaubt gerade auf einer Nordseeinsel, als ich ihn anrufe. "Ich freue mich, dass mal über etwas Positives berichtet wird", sagt Enste. "Normalerweise klicken die Menschen nicht an, wenn etwas gut ist, und schauen sich eher die Negativ-Schlagzeilen an. Deshalb freue ich mich, wenn wir mal über etwas Gutes sprechen."
Die lange Liste des Guten
Schauen wir also auf das, was sich für die Menschen verbessert hat. Allen voran das Wesentliche: "Wir sind immer noch eines der Länder mit der besten Gesundheitsversorgung weltweit", sagt Enste. Wir zahlen weniger Geld für Handytarife als noch vor vielen Jahren, fliegen verhältnismäßig günstig in den Urlaub, haben ein Riesen-Angebot an Musik oder Filmen, die wir kostengünstig streamen können.
Kleinkinder können früher in frühkindliche Bildungseinrichtungen geschickt werden und auch im Rhein kann man heute schwimmen, weil er sauberer ist als noch vor 20 Jahren. Die Liste des Guten könnte man noch länger fortsetzen, allein: es fehlt bei vielen Deutschen an innerer Zufriedenheit.
Zum Großteil hängt sie mit wirtschaftlichem Wohlstand und mit der Gesundheit zusammen. Wie sonst lässt sich erklären, dass im wohlhabendsten Landkreis Deutschlands, am Starnberger See in Bayern, die Arbeitnehmer weniger krank sind? Aber nicht nur Wohlstand und Gesundheit machen es aus. Entscheidend sind, wie Enste es nennt, die acht Arten von Kapital.
Die acht Arten von Kapital
Es fängt an mit dem ökonomischen Kapital, gemessen am BIP. Hinzu kommt Sozialkapital, ein gesellschaftlicher Zusammenhalt, Familie, Freunde. Ebenso wichtig ist Humankapital, das heißt Wissen und Bildung. Für das Wohl eines Landes ist es entscheidend, dass es auch kulturelles Kapital gibt. Dazu gehören Museen, Religionen und Bauwerke. Dazu körperliches Kapital, also physische und psychische Gesundheit - sowie spirituelles Kapital, wo es um den Geist und innere Zufriedenheit geht. Außerdem ist Naturkapital entscheidend fürs Wohlbefinden.
Das kann beim einen das Joggen durch den Wald sein, bei der anderen der Spaziergang am See zur Entspannung. Und auch Moralkapital ist zu berücksichtigen, also die Reputation und das Ansehen einer Person, aber auch Nation. Zugegeben, bei manch einem Staatsführer derzeit muss man beim Moralkapital erhebliche Abstriche machen, auch, wenn die Wirtschaft weiterwächst. Das beobachtet man gerade in den USA.
Was die Finnen so glücklich macht
Enste hat in einer Studie repräsentativ ausgewählten Menschen die einfache Frage gestellt: "Wie zufrieden sind Sie auf einer Skala von eins bis zehn mit dem Leben, das Sie führen?"
Die Auswertung hat gezeigt: Finnland gilt als das glücklichste Land. Enste begründet das unter anderem so: "Die Skandinavier haben über 100 Jahre Demokratie und selbige erhöht das Wohlbefinden. Aber sie haben auch weniger Sonne da oben und eine höhere Alkoholiker- und Suizidrate. Es gibt übrigens keinen Zusammenhang zwischen Klima und Wohlbefinden. Nehmen wir zum Beispiel die Portugiesen. Dort sagen nur drei bis fünf Prozent der Bevölkerung, dass sie sehr zufrieden mit ihrem Leben sind."
Wohlfühlen und Vertrauen haben
Zurück nach Deutschland: Es gibt den Katzenjammer nach der Corona-Pandemie, ein minimales Wirtschaftswachstum dieses Jahr, Krieg innerhalb Europas. Aber die allermeisten Dinge haben sich hierzulande doch gut entwickelt, sagt Enste. "Warum kommen so viele Menschen nach Deutschland? Weil sich die meisten Menschen hier wohlfühlen und Vertrauen in die Institutionen haben. Wir sind ein Rechtsstaat, wir müssen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verteidigen und die Demokratie."
Es gilt, die Demokratie zu verteidigen in Zeiten, in denen manche sie anzweifeln. Blickt man auf den Nachwuchs, wäre ein verpflichtendes, soziales Jahr, sei es nun im Sozial- oder Wehrbereich eine Möglichkeit, die Gemeinschaft zu fördern. "Die Politik hat sicherlich unterschätzt, was das Aussetzen des Wehr- und Zivildienstes bedeutet. Nicht nur für die Verteidigung, sondern gerade auch in Hinblick auf die sozialen Berufe in Gesundheit und Pflege", sagt Enste.
Viele Gründe zum Zufriedensein
Und weil wir schon beim Thema Politik und Demokratie sind, kommt ein politischer Seitenhieb während unseres Gesprächs: "Die AfD lebt von den negativen Botschaften, sie spricht von der Spaltung der Gesellschaft und von Krisensymptomen." De facto sei das aber gar nicht messbar, das würden seine Studien zeigen. Für das Gelingen eines Lebens seien noch ganz andere Dinge entscheidend: "Schauen wir auf den Fußball und das Sommermärchen 2006. Da gab es kollektive Freude und Zusammenhalt. Damals war die Bahn aber auch schon unpünktlich."
Und dann lachen wir beide - Enste spaziert weiter am Nordseestrand entlang, hemmungslos optimistisch, dass die Deutschen bald wieder zufriedener werden. Gründe dafür gibt es genug.
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