Adidas: Keine Tarifbindung mehr für Mitarbeiter

Analyse

Dax-Konzern:Adidas wendet sich von Tarifvertrag ab

ZDF Börse mit Frank Bethmann
von Frank Bethmann
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Zu diesem Montag steigt der Sportartikelhersteller Adidas in Deutschland aus der Tarifbindung aus. Das Unternehmen liegt damit im Trend. Trotzdem hagelt es Kritik.

Das Logo des deutschen Sportartikelherstellers Adidas ist vor der Jahrespressekonferenz des Unternehmens in Herzogenaurach auf einem Schuh abgebildet

Adidas ist nicht mehr an einen Tarifvertrag gebunden.

Quelle: AFP

Mitten in den laufenden Tarifverhandlungen steigt der weltbekannte Sportartikelhersteller aus dem Tarifvertrag aus. "Grob unsportlich" sei das, kritisiert die Gewerkschaft IG BCE. Mit dem Austritt aus der Tarifgemeinschaft würde Adidas den Pfad von Sozialpartnerschaft und Fair Play verlassen. Adidas hingegen sieht in der Tarifbindung einen Hemmschuh. "Unsere Mitarbeitenden sind die besten der Branche", heißt es in einer schriftlichen Mitteilung.

Damit das so bleibt, müssen wir in der Lage sein, Gehälter auch außerhalb einer Tarifstruktur anzubieten und allen Beschäftigten, tariflich und außertariflich, attraktive Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen.

Adidas-Mitteilung

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Wie Adidas den Schritt begründet

Das Unternehmen wehrt sich damit gegen die Forderung der Gewerkschaft, Entgeltgruppen für Höherqualifizierte auszuweiten, die bisher außertariflich bezahlt werden. Eine solche Ausweitung "würde erhebliche Nachteile für das Unternehmen und seine derzeit außertariflich bezahlten Mitarbeitenden mit sich bringen", behauptet Adidas in einem Schreiben an die Beschäftigten.

Wenig Verständnis für diese Aussage zeigt Malte Lübker vom arbeitgebernahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI): "Die würden dann zusätzlich davon profitieren, dass es klare Regelungen gibt für solche Dinge wie Überstunden, Sonderzahlungen, Urlaubsansprüche. Das ist also erstmal ein Vorteil für die Beschäftigten", findet der Politikwissenschaftler.

Knackpunkte sind Bonusregelungen und Überstunden

Hagen Lesch, Fachmann des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sieht das anders. Tarifverträge und Höherqualifizierte - das passt seiner Meinung nach nicht gut zusammen. "Man muss sehen", sagt Lesch, "dass die Tarifverträge normalerweise Festlöhne festlegen." Wohingegen höherqualifizierte Beschäftigte häufig Bonusregelungen haben, "die zum Beispiel nicht in Tarifverträgen geregelt sind."

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Ein Knackpunkt ist die Arbeitszeiterfassung. Bei den Höherqualifizierten wird aufgrund des hohen Gehalts vorausgesetzt, dass Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind. Und genau da will die Gewerkschaft ran.

Hagen Lesch, Institut der deutschen Wirtschaft

Tarifbindung ist seit Jahren rückläufig

Für Lesch sind Eingriffe in so zentrale Fragestellungen, wie "kippe ich mein etabliertes Bezahlsystem gerade für Hochqualifizierte?" der Grund, warum die Tarifbindung in Deutschland kontinuierlich abnimmt. Unternehmen wollen sich bei solchen Gestaltungsfragen nicht derart stark reinreden lassen. "Das ist wahrscheinlich nicht nur Adidas, das sich gestört fühlt", so Lesch.

Es gibt viele kleine und mittlere Unternehmen, die aus der Tarifbindung aussteigen, nur das kriegt man nicht mit.

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Das IW hat seit den 1990er-Jahren Daten gesammelt "und damals hatten wir noch über 70 Prozent der Beschäftigten, die in tarifgebundenen Betrieben arbeiteten. Heute sind es noch knapp 50 Prozent. Man sieht daran, die Reichweite von Tarifverträgen ist in den letzten 30 Jahren etwa um ein Drittel geschrumpft."

Größere Unternehmen stärker tarifgebunden, doch auch dort zunehmend Lücken

Auch Malte Lübker hat zusammen mit seinen Mitautoren das Thema Tarifbindung in Deutschland genauer unter die Lupe genommen - mit zwei wesentlichen Erkenntnissen.

Größere Unternehmen binden sich in Deutschland deutlich häufiger an einen Tarifvertrag als kleinere. Doch jenseits dieses generellen Musters weist die Tarifbindung selbst bei den Schwergewichten der deutschen Wirtschaft Defizite auf, so auch für die 40 untersuchten Dax-Konzerne. Eine tiefergehende Analyse zeige "mehr oder weniger große Lücken", wie die Studienautoren konstatieren. Denn: Auch in mehreren dieser tarifgebundenen Konzerne gelten für manche Teil- oder Tochtergesellschaften keine Tarifverträge.

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Adidas-Mitteilung

Allerdings - und das ist ein wichtiger Unterschied: Der Konzern ist damit nicht mehr dazu verpflichtet.

Losgelöst von Adidas kommen die Studienautoren um Lübker zu einer bemerkenswerten Feststellung: "Wenn wir uns die Daten für Deutschland angucken, bedeuten Tarifverträge mehr Entgelt. Der Unterschied ist so bei ungefähr zehn Monaten mehr Entgelt, wenn man in einem tarifgebundenen Betrieb arbeitet, verglichen mit einem ähnlichen nicht tarifgebundenen Betrieb."

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Auch EU will Tarifsystem stärken

Das Tarifsystem wieder zu stärken ist im Übrigen nicht nur das Ziel von Gewerkschaften und arbeitnehmernahen Einrichtungen. Auch die EU-Kommission fordert angesichts von Problemen mit Niedriglöhnen eine Erhöhung der Tarifbindung. Für die EU-Mindestlohnrichtlinie ist die Bundesregierung derzeit dabei, einen nationalen Aktionsplan zu erarbeiten.

Wenn mit Adidas nun ein großer Name der deutschen Wirtschaft aus der Tarifpartnerschaft ausscheidet, stimmt zumindest eines nicht: das Timing.

Frank Bethmann ist Redakteur im ZDF-Team Wirtschaft und Finanzen.

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