Cum-Ex-Prozess wegen Steuerschaden: Kronzeuge bittet um Vergebung
Steuerschaden von 10 Milliarden:Cum-Ex-Kronzeuge bittet um Vergebung
von Ralph Goldmann
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In den Cum-Ex-Verfahren um illegale Aktiengeschäfte wird das Urteil gegen eine der Schlüsselfiguren erwartet. Dem Steueranwalt droht Haft, der Angeklagte bittet um Vergebung.
Der angeklagte Anwalt Kai-Uwe Steck (l) neben seinem Rechtsanwalt Gerhard Strate im Gerichtssaal (Archiv)
Quelle: dpa
Man kann nicht behaupten, dass das modernste Gerichtsgebäude Nordrhein-Westfalens schwer zu erreichen ist. Der ICE aus der Bankenmetropole Frankfurt/Main hält direkt um die Ecke. Vom Bahnhof sind es keine fünf Minuten bis zum Neubau des Bonner Landgerichts in Siegburg, den das Land eigens für die Cum-Ex-Prozesse für fast 45 Millionen Euro hochgezogen hat.
Der Cum-Ex-Skandal blieb viele Jahre unentdeckt, bis einige mutige Menschen die Wahrheit ans Licht brachten.16.04.2025 | 91:10 min
Vorwurf: Besonders schwere Steuerhinterziehung
Die Hoffnung war, dass hier reihenweise Urteile gegen all die Finanzmanager und -berater gesprochen werden, die den Staat, und damit alle Steuerzahler, betrogen haben. Doch die drei neuen, riesigen Säle mit 15 Meter langen Richterbänken stehen leer. Fast. Nur für die Plädoyers und die Urteilsverkündung im Fall des Steueranwalts Kai-Uwe Steck öffneten und öffnen sich nun doch zweimal die Türen.
Ihm werden acht Fälle von besonders schwerer Steuerhinterziehung in den Jahren 2007 bis 2015 vorgeworfen. Steuerschaden in seinem Fall laut Anklage: 428 Millionen Euro.
Daran soll er 50 Millionen Euro selbst verdient haben; nur elf Millionen hat er bisher zurückgezahlt. Die Einschätzung der Staatsanwaltschaft:
Es handelt sich bei dem Angeklagten um einen hochintelligenten Opportunisten.
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Jan Schletz, Staatsanwaltschaft Bonn
"Größter Steuerraub der deutschen Geschichte"
Kai-Uwe Steck gilt als Kronzeuge in den Cum-Ex-Verfahren, die seit Jahren die Justiz beschäftigen. Vereinfacht gesagt haben die Beschuldigten Aktien so schnell zwischen Käufern und Verkäufern hin- und hergeschoben, bis der Fiskus nicht mehr wusste, wem sie eigentlich gehören.
Der damalige Bundeskanzler Scholz musste im Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft zum Cum-Ex-Skandal aussagen. Im Fokus steht eine mögliche politische Einflussnahme.06.12.2024 | 1:48 min
Statt die fällige Kapitalertragssteuer nur dem einen Aktienbesitzer zurückzuzahlen, der sie auch bezahlt hatte, erstattete das Finanzamt sie gleich mehrfach.
Der Verein Finanzwende, der sich für faire, stabile und nachhaltige Finanzmärkte einsetzt, hat einen Schaden in Höhe von mehr alszehn Milliarden Euro errechnet:
Die Cum-Ex-Geschäfte stehen für den größten Steuerraub der deutschen Geschichte.
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Verein Finanzwende
Mit ihrer Kündigung kritisiert Staatsanwältin Anne Brorhilker die Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals. In der Bürgerbewegung Finanzwende möchte sie nun künftige Missstände aufdecken.15.07.2024 | 3:06 min
Cum-Ex-Skandal von Cum-Cum-Verfahren noch übertrumpft
Bisher hat die federführende Staatsanwaltschaft Köln allein im Cum-Ex-Komplex mehr als 1.700 Beschuldigte in 135 Verfahren ermittelt. Dabei wurden 14 Anklagen gegen 21 Personen erhoben, aber nur elf wurden nach Auskunft des Landgerichts Bonn verurteilt. Zwei Verfahren wurden eingestellt.
Was noch bevorsteht, sind die Prozesse in den sogenannten Cum-Cum-Verfahren, einer ähnlichen Masche, die die Steuerzahler sogar 28 Milliarden Euro gekostet haben soll. Der NRW-Justizminister dämpfte vorsorglich die Erwartungen:
Wir werden in Wirtschaftskriminalität nie Anklagen vom Fließband bekommen, aber wir werden kontinuierlich neue Anklagen bekommen.
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Benjamin Limbach, Justizminister NRW (Bündnis'90/Die Grünen)
Cum-Ex-Geschäfte sind eine Form der Steuerhinterziehung, bei der Aktien um den Stichtag der Dividendenzahlung hin und her gehandelt wurden. Mal mit (also "cum"), mal ohne ("ex") Dividendenanspruch. Dieses Vorgehen wurde so oft wiederholt, dass die Behörden nicht mehr hinterherkamen. So war es den Finanzinstitutionen möglich, sich eine einmal auf Aktiendividenden gezahlte Kapitalertragssteuer mehrfach erstatten zu lassen. Den Erlös teilen sich die Akteure und der Staat geht leer aus. Der Bundesgerichtshof hat diese Deals, bei denen den Steuerbehörden einige Milliarden Euro entgingen, als rechtswidrig eingestuft.
Milde Strafforderung gegen Geständnis
Steck und sein Partner Hanno Berger flogen auf, als die damalige Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker im November 2012 mit einem Durchsuchungsbefehl vor der Frankfurter Kanzlei stand.
Steck habe Berger ans Messer geliefert, sagen Banker hinter vorgehaltener Hand: Denn der 53-Jährige hatte sich vier Jahre nach der Razzia für Brorhilker als Kronzeuge zur Verfügung gestellt und in den Folgejahren umfassend ausgesagt, gestanden, den Cum-Ex-Betrug erklärt - und vor allem: Namen geliefert.
Das Strafverfahren gegen den Ex-Chef der Warburg-Bank Christian Olearius wird eingestellt. Was heißt das für die Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals?24.06.2024 | 32:41 min
Es war mir sehr schnell klar, dass da eine hohe Haftstrafe auf dem Zettel steht und ich einer derjenigen war, der ganz oben bei ihr auf dem Zettel stand.
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Kai-Uwe Steck, angeklagter Steueranwalt
Steck hoffte darauf, dass die Staatsanwaltschaft im Gegenzug die Anklage fallen lässt. Den Gefallen tat sie ihm nicht, zeigte sich aber mit der Forderung von drei Jahren und acht Monaten Haft, eines vierjährigen Berufsverbots und Einziehung von 25,6 Millionen Euro durchaus milde.
Cum-Ex gilt als größter Steuerskandal Deutschlands. Wer wusste was? Bleibt der Milliardenbetrug ungestraft? Ein Faktencheck.15.07.2024 | 17:51 min
Cum-Ex-Urteil am Dienstagmittag erwartet
Die Verteidigung forderte Straffreiheit und die Einstellung des Verfahrens. Der Angeklagte betonte in seinem Schlusswort, er habe mit seinen Aussagen mehr zur Aufklärung beigetragen als jeder andere im Cum-Ex-Komplex:
Ich bitte um Nachsicht, soweit das in einem Strafprozess überhaupt möglich ist.Und um eine zweite Chance. Und wenn das Wort erlaubt ist: Ich bitte auch um Vergebung.
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Kai-Uwe Steck, angeklagter Steueranwalt
Am Dienstagmittag soll das Urteil fallen. Danach wird es wohl wieder ruhig im Siegburger Neubau des Bonner Landgerichts. In diesem Jahr könnten höchstens noch drei weitere Verfahren im Cum-Ex-Komplex beginnen. Die meiste Zeit wird das Gebäude also leer bleiben.
Ralph Goldmann ist Redakteur im ZDF-Landesstudio Nordrhein-Westfalen.