Migration: Bürgermeister fordert Konsequenzen von Scholz

Interview

Nach Attacke in Solingen:Bürgermeister fordert Konsequenzen von Scholz

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Umdenken in der Flüchtlingspolitik? Der Druck auf Kanzler Scholz wächst. Der SPD-Bürgermeister einer Kleinstadt in Baden-Württemberg fordert schnelle Reformen.

Hessen, Bensheim: Flüchtlinge sind in einem der Zelte der Flüchtlingsunterkunft unterwegs
Quelle: dpa

ZDFheute: Die Ereignisse in Solingen erscheinen wie ein Wendepunkt. Die Bundespolitik diskutiert erneut Lösungen wie konsequente Abschiebungen oder ein schärferes Waffenrecht. Sie haben in Ihrer Stadt 450 Flüchtlingen aufgenommen und warnen vor einer Überlastung der Kommunen. Was fordern Sie von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)?

Julian Christ
Julian Christ (SPD) ist Bürgermeister in Gernsbach in Baden-Württemberg. Die Stadt mit 14.700 Einwohnern hat 450 Flüchtlinge aufgenommen, ein Viertel davon aus der Ukraine. Christ warnt bereits seit langer Zeit vor einer Überlastung der Kommunen.

Julian Christ: Ich fordere den Bundeskanzler dazu auf, eine rasche und grundlegende Reform der Migration nach Deutschland umzusetzen, einen neuen Asylkompromiss. Und das über Parteigrenzen hinweg. Dies schließt auch eine Änderung des Grundgesetzes ein.

Es muss das Ziel aller demokratischen Parteien sein, die Flüchtlingszahlen auf ein leistbares Maß zu reduzieren - bevor radikale Parteien weiter an Zulauf gewinnen.

Julian Christ, SPD

Unsere Nachbarländer Dänemark und Österreich zeigen, dass nationale Gesetze Migration deutlich reduzieren können.
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ZDFheute: Ist die Stadt Gernsbach überlastet?
Christ: Die Stadt Gernsbach ist, wie die meisten Kommunen in Deutschland, an die Grenzen ihrer Belastung gekommen. Dies betrifft sowohl den kaum vorhandenen Wohnraum als auch die Kapazitäten in Kindergärten und Schulen.
Denn nur wer die deutsche Sprache erlernt, einen festen Wohnsitz und einen regelmäßigen Tagesablauf hat, einen Job, zur Schule geht, integriert sich. An ihre Grenzen stößt auch die Aufnahmebereitschaft unserer Bürgerschaft in Bezug auf jene, die sich nicht anstrengen, Teil unserer Gesellschaft zu werden und Integrationsangebote teilweise sogar ablehnen.
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ZDFheute: Was läuft schief?
Christ: Es kommen schlicht zu viele Menschen zu uns, um diese mit Wohnraum, Sprach- und Schulangeboten zu versorgen. Statt über Integration zu sprechen, reden wir nur noch darüber, wie wir den Menschen ein Dach über dem Kopf bieten können. Das bloße Dach alleine bedeutet aber nicht, Teil der deutschen Gesellschaft zu werden. Dafür braucht es Sprache, Ausbildung, Beruf und den Willen, sich anzustrengen.
ZDFheute: Haben die Probleme in letzter Zeit zugenommen?
Christ: In Gernsbach ist die Lage weitgehend stabil. Dies liegt an der dezentralen Verteilung der Flüchtlinge über die gesamte Stadt, aber auch an der engen persönlichen Begleitung durch städtische Mitarbeiter.
Mit dem zunehmenden Anteil allein reisender Männer und Personen aus den Maghreb-Staaten müssen wir aber feststellen, dass hier vermehrt Probleme auftreten. So ist der Wille an Sprachkursen oder anderen Integrationsangeboten teilzunehmen, oft gering.
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ZDFheute: Wie könnte es besser funktionieren?
Christ: Die Bundespolitik legt bisher den Fokus auf kurzfristige Schaufenster-Instrumente.

Mit der Debatte über die Anzahl von Abschiebungen oder Messerverbote in Fußgängerzonen erfolgt keine Lösung der eigentlichen Herausforderung.

Julian Christ, SPD

Stattdessen müssen wir darüber sprechen, wie wir die Migration wirksam und rasch begrenzen. Konkret: Die Ukraine-Geflüchteten sollten zukünftig regulär Asylbewerberleistungen erhalten. Wer als Flüchtling in sein Heimatland zurückkehrt, sollte den Asylstatus in Deutschland verlieren und nicht parallel finanzielle Leistungen aus Deutschland erhalten.
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Auf der anderen Seite brauchen wir bürokratische Erleichterungen für die Migranten, die arbeiten wollen und schon hier sind. Denn die Menschen, die sich anstrengen, indem sie die deutsche Sprache lernen und in die Ausbildung oder den Beruf gehen, sollten eine Chance bekommen.
Das Interview führte Britta Spiekermann, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.

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Quelle: dpa

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