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Klage gegen Bundesregierung:Trotz Aufnahmezusage: Afghanen im Unklaren
von Julia Theres Held und Salim Sadat
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Trotz deutscher Aufnahmezusage sitzen noch immer rund 2.400 Afghanen in Pakistan fest. Nach ZDF-Informationen wollen dutzende afghanische Familien die Regierung jetzt verklagen.
In Pakistan befinden sich aktuell mehrere tausend afghanische Staatsbürger, die auf ihre Weiterreise in westliche Länder, insbesondere Deutschland, warten.
Quelle: epa
An die Wand hat Fahima Saleh* bunte Zettel gehängt: Die deutschen Grammatikregeln, Verbtabellen und Vokabeln. Mehrere Stunden jeden Tag übt die 38-Jährige mit ihren Kindern. "Das Lernen hilft uns, nicht verrückt zu werden", so Saleh.
Wir wissen nicht, wie es für uns weitergeht. Und so nutzen wir die Zeit, bis wir hoffentlich endlich nach Deutschland können.
Fahima Saleh*, Afghanin
Vor 16 Monaten ist die Afghanin mit ihren vier Kindern nach Pakistan gekommen. Im Gepäck nicht viel mehr als den ersehnten Aufnahmebescheid aus Deutschland und das Versprechen auf ein Leben in Freiheit.
Baerbock führte Aufnahmeprogramm für Afghanen ein
"Wir waren in Afghanistan nicht mehr sicher", so Saleh, die in Masar-i Sharif als Gynäkologin gearbeitet hatte. "Mein Mann war Polizist. Als die Taliban die Macht übernommen haben, ist er nicht mehr von der Arbeit nach Hause gekommen. Ich weiß nicht mal, ob er noch lebt."
Im Dezember 2023 hatte Saleh eine Aufnahmezusage über das Bundesaufnahmeprogramm bekommen - für sich, ihre drei Töchter und den heute sechsjährigen Sohn. Das Programm, verkündet von der ehemaligen grünen Außenministerin Annalena Baerbock als Reaktion auf den chaotischen Abzug der deutschen Truppen, sollte vor allem denen Schutz bieten, die als besonders gefährdet galten.
Angst vor Rückkehr nach Afghanistan und Zwangsheirat
Fahima Saleh und die Kinder sollen nach Pakistan kommen, hieß es in der E-Mail der deutschen Behörden. Hier würden sie ihre Visa bekommen für die Weiterreise nach Deutschland. Doch seither, so die Mutter, hätten sie nichts mehr von der Botschaft gehört. Mit Tränen in den Augen sagt die Afghanin:
Ich weiß nicht, wie ich es meinen Kindern erklären soll, falls wir nach Afghanistan zurück müssen.
Fahima Saleh, Afghanin
Vor allem den beiden älteren Mädchen drohe die Zwangsverheiratung. Als alleinstehende Frau, so Saleh, habe sie keine Chance, ihre Töchter zu schützen.
Debatte um Neubewertung der Aufnahme von Afghanen
Unter den Afghanen in Pakistan wächst die Sorge. Auch sie haben längst mitbekommen: Der politische Wind in Deutschland hat sich gedreht. Und die Diskussion um die bereits erteilten Aufnahmezusagen ist auch innerhalb der Regierung umstritten.
Während es im Koalitionsvertrag noch hieß, man wolle freiwillige Aufnahmeprogramme "so weit wie möglich beenden", erklärte der CDU-Kanzleramtsminister Thorsten Frei zuletzt, jeder Fall solle erneut geprüft und auch "erteilte Aufnahmezusagen nach Möglichkeit wieder entzogen werden".
ZDF-Info: Klagen gegen Auswärtiges Amt eingereicht
Für den Leipziger Asylrechtsanwalt Matthias Lehnert ist klar: Damit begeht die Bundesregierung Rechtsbruch. Nach Informationen, die dem ZDF vorliegen, haben er und eine Gruppe weiterer Anwälte deshalb jetzt im Namen von Fahima Saleh und etwa 30 weiteren Familien vor dem Verwaltungsgericht Berlin Klagen gegen das Auswärtige Amt eingereicht und Eilanträge auf die Erteilung der Visa gestellt.
Die Menschen, die seit Monaten in Pakistan festsitzen, hätten im Vertrauen auf die Aufnahmezusage der deutschen Behörden ihre Heimat verlassen und alles zurückgelassen, so der Anwalt. Asylrechtsanwalt Lehnert sagt:
Eine Aufnahmezusage ist ein Verwaltungsakt und rechtlich verbindlich.
Matthias Lehnert, Asylrechtsanwalt
"Den kann man nicht einfach so zurücknehmen, nur weil sich die politische Lage ändert", so Lehnert.
Angesprochen auf die Klagen erklärte Frei am Morgen: "Wir sind ein Rechtsstaat und deswegen wird die Bundesrepublik Deutschland auch immer geltendes Recht durchsetzen und wenn jemand der Auffassung ist, dass das nicht der Fall ist, dann kann man selbstverständlich gegen Entscheidungen klagen. Und das ist überhaupt nichts, wovor wir Angst haben."
2.400 Afghanen warten auf ihre Ausreise nach Deutschland
Denn wie Fahima Saleh warten noch rund 2.400 weitere Afghaninnen und Afghanen mit entsprechender Aufnahmezusage in Pakistan auf ihre Ausreise nach Deutschland. Ein Großteil habe sämtliche Prüfverfahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die Bundespolizei abgeschlossen.
Alle Verfahrensschritte seien durchlaufen worden, ohne dass es Sicherheitsbedenken gegeben habe. Es gebe daher keinen Grund, so Lehnert, ihnen die Visa jetzt plötzlich zu verweigern. Ganz aufgegeben hat Saleh ihre Hoffnung deshalb noch nicht. Anders als Afghanistan ist Deutschland ein Rechtsstaat, erklärt sie in fast flüssigem Deutsch. "Ich habe meinen Kindern gesagt, dass wir uns darauf verlassen können."
* Der Name wurde auf Wunsch der Interviewpartnerin geändert.
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