Für immer hinter Gittern?:Deutsche IS-Anhänger im syrischen Knast
von Julia Klaus
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Im Hochsicherheitstrakt in Hasaka sind deutsche Männer eingesperrt, die sich dem IS-Terrorregime angeschlossen hatten. ZDF Frontal konnte sie sprechen. Sie wollen nach Deutschland.
Der Deutsche Dirk Pleil war zum IS ausgereist, nun sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis in Hasaka, Nordostsyrien, ein. Er möchte zurück nach Deutschland.26.02.2025 | 12:09 min
Noch eine provisorische Brücke über den Tigris, dann haben wir die Grenze vom Irak nach Syrien passiert. Wir sind auf der Suche nach deutschen Männern, die sich vor Jahren dem Terrorregime des Islamischen Staats angeschlossen hatten. Das selbsternannte Kalifat baute ab 2014 nicht nur seine Schreckensherrschaft in Syrien auf. Die Terrorgruppe ist bis heute verantwortlich für Anschläge in Deutschland - Dresden, Duisburg, Mannheim, zuletzt in Solingen.
Der IS in Syrien galt als besiegt. Rund 11.000 seiner Anhänger sitzen im Nordosten des Landes in Haft. Seit Jahren abgeschottet von der Außenwelt, werden sie von den Truppen der kurdisch dominierten Selbstverwaltung bewacht, die diese Region kontrolliert. Unter ihnen seien rund 30 deutsche Männer, wie die Selbstverwaltung mitteilt. Was soll mit ihnen geschehen?
Wir fahren durch die Wüste nach Hasaka. In der Stadt steht der Hochsicherheitstrakt, in dem viele internationale IS-Kämpfer eingesperrt sind. Nun heißt es warten. Sieben Tage dauert es, bis sich die Tore des Gefängnisses für uns öffnen.
In dem Gefängnis in der syrischen Stadt Hasaka sind etwa 2.000 Anhänger der Terrorgruppe IS inhaftiert, darunter auch Deutsche. ZDF-Reporterin Julia Klaus war vor Ort. 11.02.2025 | 1:45 min
Ein vermummter Wachmann schließt die Luke zu einer Zellentür auf und vor uns erscheint das Gesicht eines Deutschen - Dirk Pleil. Hinter ihm sitzen rund 20 Männer in Häftlingskleidung, mit geschorenen Haaren und Bart. Wie es ihm gehe? "Wir haben zu essen und zu trinken, dreimal am Tag. Wir kriegen die nötige Medizin, die wir benötigen", erzählt er.
Psychisch geht es uns nicht gut. Wir wissen nicht über unsere Familien Bescheid, ob die noch leben. Oder was mit uns passiert in der Zukunft.
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Dirk Pleil, Häftling
In Deutschland war Pleil Orthopädie-Schuhmacher. Beim IS habe er Prothesen gebaut. Gekämpft habe er nicht, behauptet er. Auf Nachfragen dazu will er sich nicht äußern.
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Pleil will zurück und "niemandem schaden"
Über die Gräuel des IS - etwa dem Völkermord an den Jesiden - will Pleil nicht reden: "Ich kann da nichts dazu sagen, ich habe damit nichts zu tun mit diesen politischen Sachen", sagt er auf Nachfrage.
Pleil will nur eins: Zurück nach Deutschland: "Ich will niemandem schaden", versichert er. Ein Gefängniswärter berichtet uns von regelmäßigen Angriffen der Gefangenen, das gemeinsame Essen diene zu Absprachen.
Quelle: ZDF
Mehr zum Thema sehen Sie am Dienstag, 11. Februar 2025, um 21 Uhr in der ZDF-Sendung frontal - und jederzeit in der ZDF-Mediathek.
Ausgemergelter Mann in Zelle - Krankheiten grassieren
Wir werden eine Etage tiefer geführt, um mit einem zweiten Deutschen zu sprechen. Wieder wird eine kleine Luke in einer Zellentür geöffnet. Vor uns steht ein Mann, der sich als Alaeddine Taieb vorstellt. Seit acht Jahren sitze er in Haft, sagt er. Er sei in Wolfsburg geboren und deutscher Staatsbürger.
Für deutsche Behörden ist Taieb kein Unbekannter. Er bewegte sich früh in islamistischen Kreisen. Gegen ihn wurde im Zusammenhang mit der terroristischen Sauerland-Gruppe ermittelt. Zur Anklage kam es nicht.
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Auch Taieb will beim IS nicht gekämpft, sondern lediglich medizinische Hilfe für Verwundete geleistet haben. Hinter ihm liegt ein ausgemergelter Mann auf dem Boden. Das Atmen fällt ihm sichtlich schwer. Woran er leidet, ist nicht zu erfahren. Die Gefängnisleitung teilt uns mit, dass die Männer medizinische Hilfe erhalten. Wir müssen Schutzmasken tragen, denn es grassieren Krankheiten wie Tuberkulose.
Auswärtiges Amt plant keine Rückholung
Was soll mit den deutschen Männern passieren? Einige sitzen seit mehr als sieben Jahren in Haft ohne Anklage, ohne Urteil, nach deutschen Rechtsmaßstäben unmöglich. Elham Ahmad, de-facto Außenministerin der Selbstverwaltung, sagt: "Wir wollen, dass alle in ihr Land zurückkehren, nicht nur die Deutschen. Und wir wollen einen fairen Prozess gegen diese Leute in ihren Ländern, denn sie haben alles in unserem Land zerstört."
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Doch danach sieht es nicht aus. Das von den Grünen geführte Auswärtige Amt schreibt auf Anfrage von ZDF Frontal:
Eine Rückholung der dort inhaftierten Männer aus den Haftanstalten ist nicht geplant.
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Auswärtiges Amt
Die Selbstverwaltung hätte immer wieder zu verstehen gegeben, dass sie die Strafverfolgung selbst in die Hand nehmen wolle.
Auch die Union will die deutschen IS-Anhänger nicht zurückholen. Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, sagt: "Ich glaube, dass wir darauf setzen können, dass die neue syrische Regierung und auch die kurdischen Kräfte im Nordosten Syriens in der Lage sein werden, das, was sie bisher getan haben, auch fortzusetzen."
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Der Syrien-Experte Christoph Leonhardt kritisiert, dass die Selbstverwaltung in Nordostsyrien mit dem Problem allein gelassen werde. Sicherheitspolitisch sei die Rückholung deutscher IS-Anhänger zwar unbeliebt. "Nichtsdestotrotz entsteht aber ein noch größeres Problem, wenn die Personen ungeordnet zurückkommen. Zum Beispiel, weil der IS es schafft, Gefangene zu befreien und diese dann als Schläfer zurückkommen."
Deswegen wäre meine Empfehlung schon für die Bundesregierung, hier das Problem anzupacken und eine geordnete Rückführung der IS-Gefangenen anzugehen.
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Christoph Leonhardt, Stellvertretender Geschäftsführer Middle East Minds
Droht die Rückkehr des IS?
Der IS wurde 2019 zwar militärisch besiegt, doch war nie weg. Wir bekommen Material aus Militärkreisen zugespielt. Es soll Anti-Terror-Einsätze in Nordostsysrien aus den vergangenen Monaten gegen Zellen des IS zeigen und ausgehobene Waffenlager. Ein Ziel der verbliebenen Dschihadisten sei demnach, ihre Angehörigen aus der Haft zu befreien.
Vor Ort überprüfen können wir das nicht, zu gefährlich. Vertreter der kurdischen Selbstverwaltung warnen vor einer Rückkehr des IS. Könnten sich versprengte oder untergetauchte Dschihadisten wieder sammeln, droht dann die Rückkehr der Terrorgruppe?
Entscheidend dafür ist nach Ansicht vieler Sicherheitsexperten, wie Donald Trump agiert. Zieht der neue US-Präsident die rund 2.000 amerikanischen Soldaten aus der Region ab, die die kurdisch dominierte Selbstverwaltung stützen oder nicht? Bisher ist seine Linie nicht absehbar.
Zurück im Gefängnis in Hasaka. Wir wollen von den Männern wissen, ob sie bereuen, dass sie zur Terror-Miliz gegangen sind. "Dass ich mich dem IS angeschlossen habe, ja", sagt Taieb, der Mann aus Wolfsburg. Dirk Pleil denkt lange nach: "Im Diesseits betrachtet...", überlegt er. "Was soll ich Ihnen sagen?" Zu einer Antwort kommt es nicht, denn ein Wärter schließt die Luke zur Zellentür, unser Besuch ist beendet.
Quelle: dpa
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