Interview
FAQ
Auflösung der PKK gefordert:Welche Chancen in Öcalans Aufruf stecken
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Jahrzehntelang hat die PKK gegen den türkischen Staat gekämpft. Jetzt hat ihr Anführer Öcalan zur Beendigung des Konflikts aufgerufen. Fragen und Antworten.
Der inhaftierte PKK-Anführer Abdullah Öcalan hat seine verbotene kurdische Arbeiterpartei aufgerufen, den bewaffneten Kampf in der Türkei zu beenden und sich aufzulösen. Dies erklärte Öcalan, der seit 1999 in einem türkischen Gefängnis sitzt, am Donnerstag.
Alle Gruppen müssen ihre Waffen niederlegen und die PKK muss sich auflösen.
Abdullah Öcalan, PKK-Chef
So hieß es in einer Erklärung Öcalans, die Vertreter der prokurdischen türkischen Partei DEM nach einem Gefängnisbesuch bei dem Anführer der Kurdenpartei am Donnerstag verlasen. "Beruft euer Treffen ein und fällt eine Entscheidung."
Eine prokurdische Delegation präsentiert ihr Video von einem Besuch im Gefängnis bei Öcalan. Dabei liest er seinen Appell zur Auflösung der PKK vor.
Quelle: dpa
Die Organisation PKK kämpft seit 1984 gegen den türkischen Staat. Mehr als 40.000 Menschen sind dem Konflikt über die Jahre zum Opfer gefallen.
Wer ist die PKK und wofür steht sie?
PKK ist die Abkürzung für Arbeiterpartei Kurdistans (kurdisch: Partiya Karkerên Kurdistanê). Sie ist eine militante Gruppierung, die mit Waffengewalt gegen den türkischen Staat kämpft. Die PKK wurde 1978 von Abdullah Öcalan in der Türkei gegründet, hauptsächlich als Reaktion auf die politische, soziale und kulturelle Unterdrückung der Kurden in der Türkei. Zu Beginn ihrer Gründung war sie eine politische Organisation, die Kurden zu vereintem Widerstand gegen die türkische Regierung aufrief. Später wandelte sie sich in eine militante Bewegung, die zunehmend gewaltsame Mittel einsetzte, um ihre Ziele zu erreichen und dafür auch Terroranschläge auf Zivilisten verübt.
Der 75-jährige PKK-Gründer wurde maßgeblich durch politische Unruhen in den 1970er Jahren geprägt. Nach seinem Studienabbruch an der Universität Ankara kehrte er der türkischen Linken den Rücken und gründete die PKK. Seine Festnahme durch türkische Spezialkräfte 1999 in Kenia markierte einen Wendepunkt im Konflikt.
Die ursprünglich verhängte Todesstrafe wurde 2002 in lebenslange Haft umgewandelt, die er seitdem auf der Gefängnisinsel Imrali nahe Istanbul verbüßt. Im Zuge der Friedensgespräche zwischen 2013 und 2015 wandelte sich das Bild Öcalans vom militanten Anführer zu einer Schlüsselfigur für mögliche Verhandlungen.
Die ursprünglich verhängte Todesstrafe wurde 2002 in lebenslange Haft umgewandelt, die er seitdem auf der Gefängnisinsel Imrali nahe Istanbul verbüßt. Im Zuge der Friedensgespräche zwischen 2013 und 2015 wandelte sich das Bild Öcalans vom militanten Anführer zu einer Schlüsselfigur für mögliche Verhandlungen.
Das türkische Militär geht militärisch gegen die PKK vor. Laut der International Crisis Group sind bisher etwa 40.000 Menschen im Kontext des Konflikts getötet worden. Heute hat die PKK ihr Hauptquartier in den Kandil-Bergen und ist auch in der Türkei, in Syrien und in Europa präsent. Mittlerweile plädiert die PKK nicht mehr ausdrücklich für einen unabhängigen kurdischen Staat, sondern für weitgehende Autonomie und Rechte für Kurden innerhalb der bestehenden Staaten.
Wieso kommt der Aufruf jetzt?
Dass Öcalan nun dazu aufruft, die Waffen niederzulegen und die PKK aufzulösen, geht auf eine Initiative des ultranationalistischen Regierungspartners des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der MHP, zurück. Ihr Chef, Devlet Bahceli, bisher eigentlich ausgesprochener Gegner einer Aussöhnung mit der PKK, hatte im Oktober eine Freilassung Öcalans ins Spiel gebracht, sollte die PKK ihre Waffen niederlegen und sich auflösen. "Tatsache ist, dass es auch von türkischer Seite Bewegung gegeben hat, indem man auf einmal positiver über Öcalan gesprochen hat", erklärt der Türkeiexperte Walter Posch vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (BLMVS) der Landesverteidigungsakademie in Wien bei ZDFheute live.
Das ganze Interview mit Walter Posch sehen Sie hier:
Posch und andere Experten sehen dafür mehrere Gründe. Zum einen sei die PKK im Irak durch die türkischen Angriffe geschwächt und damit in einer Position, über eine Waffenniederlegung zu verhandeln. Auch in der kurdischen Bevölkerung wachse die Forderung nach einem Ende der Kämpfe. Zudem ist seit dem Übergriff der Hamas auf Israel, der Schwächung des Irans und des Umsturzes in Syrien in der Region ein Machtvakuum entstanden - sowohl Kurden als auch die Türkei wollten das gestalten.
Ob es erfolgreich wird, wird man sehen: ob die Türkei dann der kurdischen Realität auf demokratische Art und Weise im eigenen Land begenen wird.
Walter Posch, Türkeiexperte
Was verspricht sich Erdogan von Verhandlungen?
Für die türkische Regierung wäre eine Entwaffnung der PKK eine historische Errungenschaft und eine "riesige demokratische Chance", so Posch. Es ist aber auch handfestes politisches Kapital für Erdogan und dürfte eine nicht unwesentliche Rolle bei dessen angestrebter Verfassungsänderung spielen, um erneut als Präsident kandidieren zu können. Dafür braucht er etwa die Stimmen der prokurdischen Partei.
Eine Kooperation mit den Kurden in der Region könnte Ankara im Sinne eines Machtausbaus attraktiv erscheinen, sagt etwa Politikprofessorin Arzu Yilmaz. Das sei nicht erste Wahl, weshalb die Türkei besonders am Aufbau einer starken Regierung in Syrien interessiert sei, die die Kurden dort in ihrem Einfluss beschneidet.
Wird die PKK dem Aufruf folgen?
Eine direkte Waffenniederlegung ist praktisch ausgeschlossen, auch wenn Öcalan weiter große symbolische Macht in der PKK besitzt. Der Aufruf wird darum maximal als möglicher Auftakt zu Verhandlungen wahrgenommen. Die PKK dürfte auf Gegenleistungen bestehen. Die Türkei geht regelmäßig militärisch gegen PKK-Stellungen im Irak und in Syrien vor. Die Kurdenmiliz YPG, die Ankara als Ableger der PKK betrachtet, kontrollieren in Nordsyrien ein großes Gebiet. Ob es auch mit Blick auf Nordsyrien Zusicherungen gibt, ist unklar. In Öcalans Erklärung heißt es unter anderem: "Alle Gruppen müssen die Waffen niederlegen und die PKK muss sich auflösen." Welche Gruppen er neben der PKK meinte, ließ er offen.
Ohnehin bleiben noch einige Fragen offen. Die Analystin Gönül Tol schrieb auf der Plattform X, unklar sei noch der Status der Kurden in Syrien, was die Kurden überhaupt als Gegenleistung erhielten und was mit den Kämpfern nach der Entwaffnung geschehe.
Militärisch gesprochen hat die PKK mit ihrer Ideologie, die doch stark in den 70er- und 80er-Jahren stecken geblieben ist, (...) nicht mehr viele Karten zu spielen.
Walter Posch, Türkeiexperte
Welche Auswirkungen hätte ein neuer Friedensprozess auf die Rechte der Kurden in der Türkei?
Die Kurden in der Türkei fordern seit Jahrzehnten eine gesellschaftliche und politische Gleichstellung. Das wird auch jetzt vorgebracht: Verhandlungspunkte könnten die Anerkennung des Kurdischen als Nationalsprache oder die Änderung des Verfassungsartikels 66 sein, der besagt, dass jeder türkische Staatsbürger Türke ist.
Weitere zentrale Forderung der kurdischen Seite ist die Beendung der Einsetzung von Zwangsverwaltern. In von der prokurdischen Partei regierten Provinzen in der Türkei werden immer wieder Bürgermeister durch regierungsnahe Zwangsverwalter ersetzt. Nicht zuletzt wird auch eine Beendung der Isolationshaft von Öcalan gefordert.
Ob das Schicksal des seit 2016 inhaftierten Erdogan-Kritikers und ehemaligen Chefs der prokurdischen Partei, Selahattin Demirtas, Teil von Verhandlungen sein könnte, ist unklar.
Woran könnte der Prozess scheitern?
Zweifel daran, dass der Prozess gelingt, schürt eine neuerliche Repressionswelle der Regierung gegen die Opposition, einschließlich der Kurden. Im Zuge dessen wurden bereits Hunderte mit dem Vorwurf der Terrorunterstützung festgenommen.
Ein tatsächlicher Friedensprozess muss neben der PKK auch andere kurdische Gruppierungen und Akteure einbeziehen, denn die Kurdenfrage geht über den bewaffneten Kampf zwischen PKK und der türkischen Regierung hinaus. Beobachter sagen auch, ein ernsthafter Friedensprozess könne nur mit einer zumindest teilweisen Demokratisierung einhergehen. Dass dies unter Erdogan geschehen kann, bezweifeln viele.
Quelle: dpa
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Quelle: AFP, AP, Reuters, dpa
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