"Antidiskriminierungsbeauftragte" ist Wortgetüm des Jahres

Initiative für verständliche Sprache:"Antidiskriminierungsbeauftragte" ist Wortgetüm

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Die Antidiskriminierungsbeauftragte soll Hürden abbauen, das Wort selbst allerdings stellt eine Barriere dar. Eine Initiative hat es daher zum ersten "Wortgetüm" des Jahres gekürt.

Eine Frau rauft sich vor einer Schultafel mit der Aufschrift "Lesen" die Haare.

Mehrere Millionen Menschen in Deutschland können nicht gut lesen - lange "Wortgetüme" sind für sie besonders schwierig. (Archivbild)

Quelle: dpa

Das Wort "Antidiskriminierungsbeauftragte" ist das "Wortgetüm des Jahres". Eine Jury aus Erwachsenen mit geringer Lese- und Schreibkompetenz kürte den Ausdruck aus Anlass des Weltalphabetisierungstages am heutigen Montag. Der Titel "Wortgetüm" wurde erstmals vergeben, um für eine verständliche und lesbare Sprache zu werben.

Mit seinen 31 Buchstaben, elf Silben und vielen (Fremd-)Wortbestandteilen ist das Wort sehr komplex und dadurch sowohl schwer lesbar als auch schwer verständlich.

Initiatoren der Aktion

Gerade für die Menschen, die von der Antidiskriminierungsbeauftragten Unterstützung erhalten sollten, stelle die Bezeichnung eine zusätzliche und diskriminierende Barriere dar, teilten die Initiatoren mit.

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Der Ausdruck "Antidiskriminierungsbeauftragte" ist nach Angaben der Initiatoren ein vergleichsweise junges Wort: Erste, sehr vereinzelte Nachweise gibt es seit den 1990er-Jahren. Einen deutlichen Aufschwung verzeichnet der Begriff seit 2022, als Ferda Ataman Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung wurde. Antidiskriminierungsbeauftragte gibt es in Deutschland auf Bundes- und Landesebene, teils auch in Unternehmen.

Initiative will Bewusstsein für Sprache verbessern

In Deutschland gibt es mehrere Aktionen, um das Bewusstsein für Sprache zu verbessern. Jährlich werden etwa das Wort und das Unwort sowie das Jugendwort und der "Sprachpanscher" des Jahres gekürt.

Das "Wortgetüm des Jahres" wurde vom "Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache" an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, den Berliner Alpha-Bündnissen und der Stiftung Grundbildung Berlin ins Leben gerufen. Dabei traf das "Digitale Wörterbuch" eine Vorauswahl aus schwierigen und zwischen 2021 und 2025 häufig verwendeten Begriffe. Eine Jury aus acht Personen traf dann die Entscheidung.

Ein Kind in der Grundschule, das an die Tafel das Wort "Schifffahrt" mit Kreide schreibt.

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Millionen Menschen haben Schwierigkeiten beim Lesen

Die Initiatoren der Aktion verweisen darauf, dass rund 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben. Für sie seien Amtsbriefe, Formulare oder Fachbegriffe tägliche Stolperfallen.

Lange und komplizierte Wörter versperrten diesen Menschen Zugänge zum Leben, die anderen offenstünden. Gerade solche Menschen saßen auch in der Jury für das "Wortgetüm".

Ein Gesetz mit 63 Buchstaben

Dabei sind es gerade die Gesetzesmacher und die Behörden, die eine Schwäche für endlose Begriffe haben. Bis 2013 galt der Begriff "Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz" (63 Buchstaben) als längstes Wort der deutschen Sprache. Dann wurde das Gesetz aus Mecklenburg-Vorpommern glücklicherweise aufgehoben. Die Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung (67 Buchstaben) war schon 2007 zu den Akten geheftet worden.

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In den Duden schaffen es solche Bandwurmwörter eigentlich nie. Denn dort werden nur Begriffe aufgenommen, die mit gewisser Häufigkeit im deutschen Sprachgebrauch auftauchen.

  1. Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (mit und ohne Bindestrich) mit 44 Buchstaben,
  2. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung mit 36 Buchstaben,
  3. Donaudampfschifffahrtsgesellschaft mit 34 Buchstaben
  4. Arbeiterunfallversicherungsgesetz mit 33 Buchstaben,
  5. Rhein-Main-Donau-Großschifffahrtsweg mit 33 Buchstaben,
  6. Bundesausbildungsförderungsgesetz mit 33 Buchstaben,
  7. Finanzdienstleistungsunternehmen mit 32 Buchstaben,
  8. Finanzmarktstabilisierungsgesetz mit 32 Buchstaben,
  9. Straßenverkehrs-Zulassungsordnung mit 32 Buchstaben,
  10. Veranstaltungsinformationsdienst mit 32 Buchstaben.

(Quelle: KNA)


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Quelle: dpa

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Quelle: KNA

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