"Erzperiment" in Sachsen:Sie wohnen kostenlos auf Probe im Erzgebirge
In Zwönitz im Erzgebirge probiert eine Familie aus Berlin das Leben auf dem Land - und das kostenlos. Das Projekt soll Stadtflucht umkehren. Gelingt das?
Schöne Natur, aber wenig Arbeit. Im Erzgebirge sollen wieder Menschen angelockt werden durch das „Erzperiment“. Kostenloses Probewohnen und erleben, was das Leben hier ausmacht. Eine Win-Win-Situation?
23.08.2025 | 4:53 minSeit drei Wochen wohnen und arbeiten Philipp Jäger und Katharina Wortberg Jäger in Zwönitz - auf Probe. Die Familie kommt eigentlich aus Berlin und versucht nun, in der 11.000-Einwohner-Stadt ihren gewohnten Alltag weiterzuleben.
Der Umzug aufs Land ist für die Eltern mit Baby ein Experiment. Unter 270 Bewerbungen für das "Erzperiment" wurden sie ausgesucht, um anderen Städtern das Leben in der Provinz schmackhaft zu machen. "Wir haben auch eine ganz tolle Tagesmutter über das Projekt gestellt bekommen", sagt Katharina Wortberg Jäger.
Experiment soll Lebenswert beweisen
Das Projekt wurde von der Wirtschaftsförderung Erzgebirge auf die Beine gestellt. Die Wahl sei auf die Berliner Familie gefallen, weil diese tatsächlich überlegen, aus der Großstadt wegzuziehen, sagt Sabine Schulze-Schwarz von der Wirtschaftsförderung Erzgebirge.
Es ist auch ein Teil unserer Strategie, den Städtern - Thema Stadtflucht, raus aus Land - zu zeigen, am Beispiel der Familie auch, wie man in der Provinz auch leben kann.
Sabine Schulze-Schwarz von der Wirtschaftsförderung Erzgebirge
Schulze-Schwarz ist überzeugt: Auch in Zwönitz gebe es "tolle Arbeitsplätze, viele Freizeitmöglichkeiten, tolle Menschen". Das soll das Experiment beweisen.
Abwanderung im Erzgebirge führt zu Fachkräftemangel
Seit der Wende kämpft der Erzgebirgskreis im Süden von Sachsen mit Abwanderung und Überalterung. Berechnungen zufolge werden in den nächsten 15 Jahren rund 45.000 Fachkräfte fehlen.
Viele zogen nach der Wiedervereinigung aus dem Osten in den Westen. Dieser Trend hat vor allem für ländliche Gebiete Folgen.
03.10.2024 | 1:49 min"Das Problem ist, dass die jungen Menschen, die weggegangen sind, natürlich auch nicht ihre Familien gegründet haben hier in der Region", sagt Peggy Keller, Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderung Erzgebirge.
Wir haben zwei Dellen: Einmal nach 1990 und dann noch einmal zwanzig Jahre später, weil die Kinder nicht geboren oder anderswo geboren wurden.
Peggy Keller, Geschäfsführerin der Wirtschaftsförderung Erzgebirge
Wenn immer weniger Menschen in einer Region geboren werden, sei diese irgendwann auch für andere nicht mehr attraktiv, befürchtet Keller.
Berliner Familie will wieder ins Erzgebirge kommen
Um zu zeigen, wie attraktiv das Leben in der sächsischen Provinz sein kann, wird den Berlinern viel geboten. Ein Social-Media-Team begleitet ihre Freizeitaktivitäten, damit ihr Alltag auch für andere sicht- und erlebbar wird. Neben neuen Erfahrungen hätten sie vor allem viele neue Bekanntschaften gemacht, sagt Philipp Jäger:
Die Eindrücke sind vor allem positiv - vor allem das schnelle Ankommen und das so schnelle Einleben und Wohlfühlen.
Philipp Jäger
Mit einem Klischee konnte die Familie bereits aufräumen: "Da wird euch doch scheiß-langweilig", hätten Bekannte zu ihnen gesagt, erzählt Katharina Wortberg Jäger. "Aber uns ist überhaupt nicht langweilig geworden. Wir haben schon gesagt, wir müssen wiederkommen, weil wir sind noch nicht fertig."
Viele Dörfer sterben aus. Da sind kreative Ideen gefragt – und Menschen, die anpacken.
22.08.2023 | 28:31 minÜber 1.000 Bewerbungen für Eisenhüttenstadt
Probewohnen für Städter gibt es nicht nur im Erzgebirge, auch Eisenhüttenstadt in Brandenburg hat damit bereits positive Erfahrungen gemacht.
Die Bewerbungen kämen mittlerweile sogar aus Sri Lanka und Südamerika - "es ist Wahnsinn", sagt Julia Basan von der Rückkehrinitiative Eisenhüttenstadt. Mehr als 1.700 Bewerbungen für das Probewohnen seien in ihrer Stadt bisher eingegangen. Mit einem so großen Anklang habe die Stadt nicht gerechnet.
Viele Menschen setzen auf ein Umdenken am Arbeitsplatz, in der Landwirtschaft und beim Wohnen. Gemeinschaft statt Profit, lautet das Motto.
23.11.2023 | 29:45 minNun hofft Eisenhüttenstadt darauf, der Abwanderung etwas entgegenzusetzen. Seit der Wende hat sich die Einwohnerzahl in der Stadt mit dem einst bedeutenden Stahlwerk halbiert - auf inzwischen rund 25.000.
Stadt hilft als "Turbo" bei der Vernetzung
Den Probewohnenden stellt die Stadt für zwei Wochen eine Wohnung zur Verfügung - möbliert und kostenlos. Auch bei der Vermittlung von Kontakten und Arbeitsstellen unterstütze sie, erklärt Julia Basan. "Wir sind der kleine Turbo, der die Menschen in die Netzwerke reinschauen lässt, sprich in die Vereine."
Voraussetzungen für eine Bewerbung seien eine Aufenthaltsgenehmigung - und die Motivation müsse stimmen, so Basan.
Das muss nicht unbedingt heißen, dass derjenige schon mal hier war, sondern dass er ein echtes Interesse für unsere Stadt äußert.
Julia Basan, Stadt Eisenhüttenstadt
Mehr zu Stadt vs. Land
- von Sarah Hufnagel
- mit Video
Landflucht in Italien:Es geht um nichts weniger als das Überleben
Barbara Lueg, Rom Geld für Renovierung:Irland will Hauskäufer auf Inseln locken
- mit Video
Mega-City in Indien:Wo Slums auf Milliarden-Villen treffen
von Nicola Vitense-Lukat