H-Kennzeichen für die Massen:Oldtimer-Schwemme: Klassiker oder Umweltsünder?
von Alexander Roettig
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Das H-Kennzeichen sollte ab 1997 Auto-Klassiker fördern - und sie vor Umweltvorgaben schützen, die sie nicht einhalten können. Doch das "H" scheint massentauglich zu werden.
Begehrt und umstritten: Das H-Kennzeichen für Oldtimer
Quelle: dpa
Ein Ford Sierra von 1990 rollt auf die Hebebühne - damals eine biedere Familienkutsche. Der Solinger Gutachter Peter Millies prüft, ob der Wagen ein H-Kennzeichen verdient. Der Innenraum sieht tatsächlich aus wie neu. Allerdings Plüsch und Plastik - statt Holz, Leder und Chrom wie bei Autos aus den 50ern.
Noch vor zehn Jahren wäre dieses Modell auf zwielichtigen Gebrauchtwagenmärkten verramscht worden. Jetzt soll es ein Klassiker sein? Der Gutachter meint: Ja.
Ein Klassiker ist er auf jeden Fall wegen seines Alters - mehr als 30 Jahre. Originalzustand. Die Karosserie und der Innenraum sind ebenfalls perfekt.
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Oldtimer-Gutachter Peter Millies
Feinstaubschleudern in den Umweltzonen
Ein Problem gibt es bei der Sache: Die Zahl der Oldtimer ist stark gewachsen. 888.000 mit und ohne H-Kennzeichen zählte das Kraftfahrtbundesamt zu Jahresbeginn. Darunter sind auch immer mehr alte Diesel, die mit dem Sonderkennzeichen in die Umweltzonen der Innenstädte fahren dürfen - obwohl sie keinerlei Feinstaub-Vorgaben entsprechen.
Wie gefährlich sind Feinstaub und Stockstoffdioxid? Wie gut oder schlecht ist der Diesel wirklich? Was ist dran am Vorwurf, die Grenzwerte würden willkürlich festgelegt? 11.02.2019 | 17:30 min
Das H-Kennzeichen soll dem "Erhalt automobilen Kulturguts" dienen. Aber gehören Golf III oder Opel Astra wirklich dazu?
Dennis Böling vom Classic Center Köln sieht das anders: In seiner Garage stehen Mercedes 300 SL Flügeltürer von anno 1958. Oder alte Porsche 911er von 1963. Aber Golf III und Ford Focus?
Meines Erachtens sind das keine klassischen Fahrzeuge. Reden wir über einen Ford Focus oder Sierra - die haben für mich, auch wenn sie bald 30 Jahre alt werden, keine Legitimation als Oldtimer.
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Dennis Böling, Classic Center Köln
Schon der Blick ins handgearbeitete Leder-Interieur des 300 SL macht den Unterschied zum Plastik-Cockpit des Sierra brutal klar. Doch wer weiß, wie man den Ford in 20 Jahren sieht? Böling stellt auch einen Peugeot 403 aus: Der war in den 60ern eine stinknormale Mittelklasse-Limousine. Die weichen Formen des weinroten Franzosen, das verspielte Interieur - wer fände den heute nicht klassisch? Und wer weiß, wie man den Ford Sierra in 20 Jahren sieht?
Ein Ford Sierra Coupe 2.3 von 1980. Ein nach den Jahren echter Oldtimer, oder doch nur eine ganz normale Mittelklasse-Limousine?
Quelle: Imago
H-Kennzeichen für Diesel aus den 1990ern?
Doch wenn die Massenautos der 90er H-Kennzeichen bekommen gibt’s ein Problem, meint Böling. "Das H-Kennzeichen war ja mal für die Autos der 50er, 60er, 70er gedacht. Jetzt sind wir schon bei Fahrzeugen von 1995. Und da sehe ich die Diesel besonders kritisch."
Das ist das Problem: Strenge Umweltvorschriften gelten für Oldtimer nicht. Wenn ein paar alte Mercedes 170 d aus den 30ern durch die Städte rollen, ist das kein Problem.
Doch die Autos der 90er sind zäh: Ihre vollverzinkten Karosserien halten ewig. So könnten bald hunderttausende 90er-Diesel durch Innenstädte und Umweltzonen kurven - steuerbegünstigt und mit maximalem Feinstaubausstoß.
Verschmutzte Luft: 253.000 Tote in der EU
Feinstaub und Luftverschmutzung verursachen weltweit mehr als 4,5 Millionen vorzeitige Todesfälle, so die Weltwetterorganisation in ihrem jährlichen Bericht über Luftverschmutzung.05.09.2024 | 0:25 min
Marina Falke vom Bund Umwelt- und Naturschutz (BUND) kritisiert das scharf.
Da sind zu viele Massenfahrzeuge dabei, die zu viele Abgase ausstoßen - mehr als die neuen Regeln eigentlich erlauben. Wir sehen da Autos, die ohne grüne Plakette, ohne Katalysator in die Umweltzone fahren.
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Marina Falke, BUND
Das sei natürlich gesundheitsschädlich, so Falke weiter.
Definitionsfrage: Was ist ein Oldtimer?
Wo fängt das automobile Kulturgut an - wo hört es auf? Gutachter Peter Millies plädiert für Milde. In einem Showroom seines Gutachter-Betriebs steht eine alte "Ente", ein Citroen 2 CV. Und ein Opel Kadett GTE aus den 70ern. Die haben sicher keine guten Abgaswerte - doch soll man sie deshalb aus den Innenstädten verbannen?
"Das ist immer eine Definitionsfrage: Was ist für mich ein Oldtimer?", meint Millies. "Manche sagen, nur Vorkriegsmodelle. Oder ein alter Mercedes SL. Aber solche Fahrzeuge wie der Opel Kadett haben einen Bestandsgrund: Wenn die über 30 Jahre alt sind, sind das Oldtimer."
Ein VW-Golf III GTI aus den 1990ern. Eine Abgasschleuder, die mit H-Kennzeichen in die grünen Umweltzonen der Innenstädte fahren darf.
Quelle: PR
Klassiker oder nicht - eine letztgültige Wahrheit gibt es da wohl nicht. In der vergangenen Wahlperiode wurde in Berlin darüber diskutiert, ob das Gesetz zum H-Kennzeichen überarbeitet werden muss. Ohne Ergebnis. Und so kann sich der alte Ford Sierra bald mit einem H-Kennzeichen schmücken.
Wenn in den nächsten Jahren aber immer mehr 90er-Jahre-Diesel steuerbegünstigt Umweltvorgaben umgehen, könnte das Thema politisch wieder Fahrt aufnehmen.
Alexander Roettig ist Mitarbeiter im ZDF-Landesstudio Düsseldorf