Fuggerei in Augsburg:Warum bezahlbare Mieten keine Utopie sein müssen
von Caroline Drees
Günstig Wohnen wie in der Augsburger Fuggerei - kaum mehr vorstellbar. Dabei gibt es Lösungen, die den explodierenden Mieten Einhalt gebieten könnten.
Während überall in Deutschland die Mieten steigen, lebt man in Augsburg in der ältesten Sozialsiedlung der Welt fast umsonst: In der Fuggerei zahlen die Bewohner nur 88 Cent Jahresmiete .
22.10.2025 | 6:09 minSie streichelt sie fast, ihre Kräuter, den Salat, die letzte Tomate, die noch am Strauch hängt. Angelika Stibi ist meist im Garten anzutreffen. Ihrem Garten. Seit einem halben Jahr wohnt sie in der Fuggerei in Augsburg - der ältesten Sozialsiedlung der Welt. Für die Wohnung hier zahlt sie unglaubliche 88 Cent Kaltmiete im Jahr, plus Nebenkosten.
Während im Rest des Landes die Mieten steigen, vor allem in Großstädten immer teurer werden, ist Wohnen hier bezahlbar. Das Konzept in der Stadt in Bayern scheint eine Art Utopie zu sein - vor knapp 500 Jahren von Jakob Fugger, dem "Reichen" gegründet, bis heute durch Tourismus und Forstwirtschaft finanziert. Wer hier einziehen möchte, muss bestimmte Kriterien erfüllen: vor allem bedürftig und katholisch sein, sowie seit mehreren Jahren in Augsburg leben.
Angelika Stibi beschreibt, die Fuggerei habe sie gerettet:
Ich habe damit gerechnet, dass ich Flaschen sammeln muss. Ich hatte kein Erspartes mehr.
Angelika Stibi, Bewohnerin der Fuggerei
Studie: Wohnen macht arm
Abseits der Fuggerei, auf dem normalen Miet- und Wohnungsmarkt, scheint bezahlbarer Wohnraum hingegen vielerorts eher Privileg zu sein, statt Grundbedürfnis, das jedem zusteht. Dabei sei bezahlbares Wohnen für unsere Gesellschaft eine "absolute Notwendigkeit", erklärt Barbara Schönig, Professorin für Stadtplanung an der Bauhaus-Universität Weimar und Sprecherin des DFG-Graduiertenkollegs "Gewohnter Wandel".
Wenn es immer mehr Gegenden gebe, die sich nur bestimmte Leute leisten können, entstünden Verdrängungseffekte, erklärt sie.
Und das führt zu einer sozialen Spaltung in der Gesellschaft.
Prof. Barbara Schönig, Bauhaus-Universität Weimar
Der Paritätische Wohlfahrtsverband kam in einer Studie von 2024 zu dem Schluss: "Wohnen macht arm." Viele Menschen müssten heute mehr als ein Drittel ihres Einkommens für die Miete ausgeben. Arme Menschen betrifft das besonders stark.
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Ein neues Thema ist die Wohnungskrise allerdings nicht. Schon seit es Städte gibt, besonders seit dem 19. Jahrhundert, als mit der Industrialisierung immer mehr Menschen in Ballungszentren drängten, wurde Wohnen zum Problem. Boden wurde zu etwas, das privat bewirtschaftet und zu Geld gemacht werden konnte, erklärt Schönig.
Trotzdem sei günstiger Wohnraum keine Utopie, meint die Professorin. "Es ist eher die Frage, ob das gesellschaftlich gewollt ist. Ich frage mich immer, wieso das Thema so wenig wahlentscheidend ist." Denn es gäbe Lösungsansätze.
Im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert etwa bauten viele Unternehmen Werkswohnungen für ihre Angestellten - etwas, worüber auch heute nachgedacht werden sollte, empfiehlt Schönig: "Arbeitgeber scheinen viel zu wenig zu verstehen, dass es ein Thema ist, das sie interessieren sollte."
Je mehr ich für meine Miete ausgebe, umso höher müssen auch die Lohnkosten sein.
Prof. Barbara Schönig, Bauhaus-Universität Weimar
Und wer sich eine Wohnung in der Nähe der Arbeitsstätte nicht länger leisten kann, gehe im schlimmsten Fall als Arbeitskraft verloren.
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Was man tun müsste, wäre die Mieten stärker zu regulieren. Stichwort Mietendeckel.
Prof. Barbara Schönig, Bauhaus-Universität Weimar
Laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft fallen zudem bis 2030 jährlich etwa 50.000 Sozialwohnungen aus der Bindung. Denn Eigentümer sind nur für eine gewisse Zeit dazu verpflichtet, sich an die gedeckelten Mieten zu halten. Professorin Barbara Schönig fordert daher: "Man sollte Bestände aufkaufen, und bezahlbar bauen als öffentliche Hand, und das nicht private Investoren machen lassen." Wie es etwa auch in Wien gemacht wird.
"Wir bauen zu wenig, wir bauen zu teuer." Um mehr einsparen zu können, müsse man mehr vorproduzieren, also seriell bauen, so die Bundesbauministerin Verena Hubertz, SPD.
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Zurück in Augsburg blinzelt Angelika Stibi in ihrem Garten in der Fuggerei in die Sonne. Als sie die Zusage für die Wohnung bekam, sei ihr "eine Riesenlast von den Schultern gefallen", sagt sie.
Das war wie im Himmel. Viele meiner Sorgen waren einfach nicht mehr da.
Angelika Stibi, Bewohnerin der Fuggerei
Denn für sie ist bezahlbarer Wohnraum längst keine Utopie mehr.
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