Malcolm X: Der ungeklärte Mord und die Anklage seiner Tochter

100. Geburtstag:Der ungeklärte Mord an Malcolm X

Cornelius Janzen
von Cornelius Janzen
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60 Jahre nach dem Mord an dem Bürgerrechtler Malcolm X ist der Fall noch immer nicht vollständig aufgeklärt. Anlässlich des 100. Geburtstags kämpft seine Tochter für Gerechtigkeit.

US-Bürgerrechtler Malcolm X
Der 1965 ermordete US-Bürgerrechtler Malcolm X wäre heute 100 Jahre alt. Der Fall ist immer noch ungeklärt, seine Tochter klagt gegen Behörden.16.05.2025 | 10:36 min
New York, 21. Februar 1965: Im Audubon Ballroom in Harlem betritt Malcolm X die Bühne. Eine Störung im Publikum, Tumult - es fallen 21 Schüsse. Abgefeuert von mehreren Personen. Malcolm X stirbt vor den Augen seiner Familie. Ein Täter wird noch vor Ort gefasst: Thomas Hagan. Er gesteht.
Zwei weitere Männer - Norman Butler und Thomas Johnson - werden ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilt, obwohl Hagan ihre Unschuld beteuert. Einzig ihre Mitgliedschaft in der radikal-religiösen "Nation of Islam" verbindet sie. Jahrzehnte später werden sie rehabilitiert und entschädigt.

Wir wissen bis heute nicht, wer meinen Vater ermordet hat.

Ilyasah Shabazz, Tochter von Malcolm X

Staatsanwaltschaft räumt Unschuld der vermeintlichen Mörder ein

Wir treffen die Tochter von Malcolm X am Tatort in New York - heute eine Gedenkstätte.
Für sie ist das "Warum" zentral: "Für wen war mein Vater eine Bedrohung?" Eine Netflix-Doku brachte 2020 Bewegung in den Fall. Ermittlungen der New Yorker Staatsanwaltschaft folgten. 2021 räumte diese die Unschuld von Butler und Johnson ein: Beweise seien zurückgehalten worden, Gesetze gebrochen, öffentliches Vertrauen zerstört. Butler und die Familie Johnsons erhielten insgesamt 36 Millionen US-Dollar.
Vier bunte Gemälde hängen an der Wand, die Skulptur einer Schlangenfrau steht im Vordergrund.
Black Lives Matter und #MeToo: Die Ausstellung im mumok Wien beleuchtete die Wurzeln heutiger gesellschaftspolitischer Bewegungen in den 1960ern.07.10.2024 | 0:45 min
Zum Zeitpunkt seines Todes hatte Malcolm X viele Feinde - im FBI, in der Regierung, in der religiös-radikalen Organisation "Nation of Islam". Weiße galten dort als Teufel, Schwarze als auserwählt. Malcolm war zwölf Jahre lang rechte Hand des Anführers Elijah Muhammad. Dann kam der Bruch. "Malcolm lehnte die rassistische Ideologie ab und entlarvte Korruption. "Elijah sah ihn als Bedrohung", so Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson.
Archiv: Gene Hackman (l) und Willem Dafoe in einer Filmszene von "Mississippi Burning" (USA 1988)
Der Mord an drei jungen Männern katapultierte den US-Bundesstaat Mississippi vor 60 Jahren in die Schlagzeilen. Der Fall wurde verfilmt und veränderte die US-Politik.21.06.2024

Selbstverteidigung statt Gewalt

Malcolms Popularität übertraf längst die seines Mentors. Junge Schwarze sahen in ihm ein Idol - er sprach zu einem Alltag voller Rassismus und Polizeigewalt. Sein Credo: "By any means necessary" (übersetzt: "Mit allen notwendigen Mitteln"). Während Martin Luther King friedlichen Protest predigte, rief Malcolm zum Widerstand auf. "Malcolm rief zur Selbstverteidigung auf, nicht explizit zur Gewalt", sagt Autor Ibram X. Kendi. "Doch er wurde als gewaltverherrlichend dargestellt."
Martin Luther King Jr. während des Bürgerrechtsmarsches am 28. August 1963 in Washington
Am 28. August 1963 nahmen mehr als 200.000 Menschen am "Marsch auf Washington" teil. Martin Luther King hielt dort seine legendäre Rede, die die Worte "I have a dream" beinhaltete.28.08.2023 | 0:52 min
Das FBI überwachte ihn jahrelang. Direktor J. Edgar Hoover warnte vor einem "schwarzen Messias". Kurz vor dem Attentat schrieb er an sein New Yorker FBI Büro. "Tut etwas gegen Malcolm X - die schwarze Gewalt muss enden."

CIA und FBI hatten ein Interesse an seinem Tod. Dass sie vom Attentat wussten und es hätten verhindern können, steht für mich außer Frage.

Britta Waldschmidt-Nelson, Historikerin

Mindestens neun FBI-Informanten waren am Tatort. Auch sein Bodyguard war Undercover-Polizist.

Malcolm X wurde am 19. Mai 1925 in Omaha, Nebraska geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters und der Einweisung seiner Mutter wuchs er in Pflegefamilien und bei seiner Halbschwester auf. Er geriet auf die schiefe Bahn und kam ins Gefängnis, wo er der radikal-religiösen Nation of Islam (NOI) beitrat. Nach seiner Entlassung 1952 wurde er einer ihrer führenden Sprecher. 1964 brach er mit der NOI, reiste nach Mekka, wandte sich vom Rassismus ab und gründete die Organisation für afroamerikanische Einheit (OAAU). Er verfolgte fortan einen menschenrechtlichen Ansatz und plante, die USA wegen Menschenrechtsverletzungen vor die UN zu bringen. Am 21. Februar 1965 wurde er in New York ermordet.

Mai Thi vor einer Europakarte mit eingezeichneten Migrationswegen
Es gibt keine menschlichen Rassen, nur eine "human race". Viele rassistische Narrative beanspruchen "die Wissenschaft" für sich. "MAITHINK X" stellt das auf den Prüfstand.15.09.2024 | 29:26 min

Die Klage der Töchter

2024 reichte Ilyasah Shabazz mit ihrer Familie eine Klage über 100 Millionen US-Dollar gegen US-Regierung, FBI, CIA und Polizei ein. Der Vorwurf: Die Behörden hätten den Mord billigend in Kauf genommen. Und die Aufklärung behindert. Von der Trump-Administration fordert sie die Freigabe geheimer Akten.

Wenn wir die Wahrheit nur den Geschichtsbüchern überlassen, entwertet das das Lebenswerk meines Vaters.

Ilyasah Shabazz, Tochter von Malcolm X

Waldschmidt-Nelson ist überzeugt:

Elijah Muhammad hat den Mord entweder selbst direkt angeordnet oder seinen Wunsch in diese Richtung geäußert, der dann ausgeführt wurde. Er hat ja auch immer wieder Kommentare gemacht, dass Malcolm eine Schlange sei, deren Kopf abgeschlagen werden müsse.

Britta Waldschmidt-Nelson, Historikerin

Die Führungsriege der Nation of Islam sah in Malcolm nach dem Bruch 1964 einen Verräter. Er wurde zur Zielscheibe. Der Attentäter Thomas Hagan nannte 1977/1978 vier Mittäter aus dem Umfeld einer Moschee der Nation of Islam in Newark - doch die Justiz ging dem nie nach.
Mitglied des Ku Klux Klan mit brennender Fackel
Ku-Klux-Klan: Dieser Name steht in den USA seit 1865 für Rassismus, Hass und Terror. Sein Ziel: die weiße Vorherrschaft zu sichern und politische Gegner zu vernichten - mit allen Mitteln.05.07.2024 | 44:10 min

Das Erbe von Malcolm X

Kurz vor seinem Tod reiste Malcolm X 1964 nach Mekka, wandte sich vom Rassismus der Nation of Islam ab und entwickelte sich zum globalen Menschenrechtsaktivisten. "Er brachte die Menschenrechts-Agenda in die Bürgerrechtsbewegung", sagt seine Tochter. "Wir müssen uns fragen, was uns daran hindert, die Menschlichkeit des anderen anzuerkennen", so Shabazz. "Menschen weltweit lassen sich bis heute von Malcolm X inspirieren. Das ist sein Vermächtnis", sagt Ibram X. Kendi.
Cornelius Janzen ist ZDF-Redakteur und Reporter für 3sat Kulturzeit.

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