Gewalt gegen Frauen: Was steckt hinter den Spritzen-Attacken?

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Angriff auf Frauen in Frankreich:Was steckt hinter den Spritzen-Attacken?

von Anne Arend, Paris
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Bei Frankreichs größtem Straßenfestival sind über 100 Frauen mit Spritzen verletzt worden. Das Ziel der Angreifer: Angst verbreiten. Dabei hilft die Vernetzung über Social Media.

Menschen feiern während der "Fête de la Musique" am Seine-Ufer in Paris am 21. Juni 2025.
Tausende Menschen feierten während der "Fête de la Musique" in Paris. Dort und auch in anderen Städten kam es während des landesweiten Musikfests zu Spritzen-Attacken gegen Frauen.
Quelle: epa

Ambre und Sana sitzen auf einer kleinen Mauer im Quartier des Halles in Paris. Dort, wo am Wochenende, bei der "Fête de la Musique", Hunderttausende in den Straßen feierten und tanzten. Die beiden Frauen, gerade erst 18 Jahre alt, waren nicht dabei.

Eigentlich wollten wir hin, aber das Risiko war uns einfach zu groß.

Sana

Sana verweist auf die Warnungen, die es bereits zuvor bei TikTok und Snapchat gegeben hatte: Vor Männern, die planen, Frauen mit Spritzen und Nadeln zu verletzen. Vor Männern, die sich - ebenfalls über Social Media - dazu verabredet hätten, in der Nacht des 21. Juni "Frauen zu stechen", zum sogenannten "Needle Spiking".
Musikbegeisterte hören einem Mann zu, der beim jährlichen französischen Straßenmusikfestival „Fête de la Musique“ Gitarre spielt.
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Was steckt hinter diesen Spritzen-Attacken?

Félix Lemaître hat sich in seinem Buch "La Nuit des hommes", zu Deutsch, "Die Nacht der Männer" mit solchen Fällen befasst. "Es geht darum, Frauen klarzumachen, dass der öffentliche Raum kein Ort der Sorglosigkeit ist", erklärt er im Gespräch mit der französischen Tageszeitung "Libération".
Dahinter stehe eine Form des Maskulinismus, der Ideologie männlicher Überlegenheit, mit deren Thesen immer mehr Männer in Berührung kommen. Im Netz solidarisieren sie sich, tauschen Tipps zur Gewalt gegen Frauen aus. Attacken mit Spritzen gehören dazu.

Sind Spritzen-Attacken ein neues Phänomen?

Es gab 2021 bereits größere Berichte über "Needle Spiking" in Bars in Großbritannien, Meldungen etwa aus Spanien, Belgien und Frankreich folgten. Nach der "Fête de la Musique" am vergangenen Wochenende sind mehr als 130 Anzeigen bei der Polizei eingegangen, deutlich mehr als in den Jahren zuvor, berichtet Éric Henry von der Gewerkschaft Alliance Police Nationale. Und ihn sorgt zudem:

Ein hohes gesundheitliches Risiko. Die Spritzen gingen von Hand zu Hand. Sie wurden unter den Angreifern weitergereicht.

Éric Henry von der Gewerkschaft Alliance Police Nationale

Laut Innenministerium wurden 14 Tatverdächtige im Alter von 19 bis 44 Jahren festgenommen. Nicht nur in Paris, offenbar war es eine geplante Aktion im ganzen Land.
Spiking
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Was wurde gespritzt?

Noch ist unklar, ob den Frauen überhaupt gefährliche Substanzen, etwa Drogen, verabreicht wurden oder ob sie - in einem Akt vorsätzlicher Gewalt - mit leeren Spritzen und anderen Gegenständen gestochen wurden. Auch wenn die Spritzen keine Substanz enthielten, droht Tätern solcher Übergriffe eine Freiheitsstrafe von drei Jahren.
Die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchungen etlicher Frauen in den Krankenhäusern sind noch nicht vollständig bekannt. Betroffene beschreiben Symptome wie Übelkeit und Kopfschmerzen. Die Polizei rät dazu, sich bei einem Verdacht möglichst schnell testen zu lassen, einige Substanzen lassen sich nur wenige Stunden nachweisen. Außerdem sollten umgehend Veranstalter und Freunde informiert werden.
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Wie können sich Frauen schützen?

In Frankreich hilft das Projekt "Espace-Safer" Betroffenen. Mit einer App, die es ermöglicht, potenzielle Nadelstiche zu melden, aber auch psychologische Unterstützung anbietet. Zudem bietet die Organisation Awareness-Programme etwa bei Festivals an. Ähnliche Initiativen gibt es auch in Deutschland.
Wichtig sei es auch, aufeinander achtzugeben, in Gruppen mit Freunden unterwegs zu sein, so die Polizei. Im Vorfeld der "Fête de la Musique" hatten sich einige Mädchen verabredet - trotz Temperaturen von mehr als 30 Grad - lange Kleidung zu tragen. Eine Reaktion, die jedoch eher gefühlten Schutz bietet. Die vor allem aber zeigt: Das Kalkül der Täter, Frauen und Mädchen Angst zu machen oder gar Psychosen zu provozieren, ist aufgegangen.

In Clubs und bei Partys
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Sie wirken schnell und sedieren die betroffene Person: K.-o.-Tropfen. Armbänder mit Testfeldern sollen diese Tropfen im Getränk nachweisen können. Was an ihnen problematisch ist.
von Sabrina Zimmermann
Gläser stehen auf einem Tresen, von denen eins in eine Hand genommen wird.
mit Video

Große Verunsicherung

Sana und Ambre, die beiden jungen Frauen im Quartier des Halles sind zutiefst verunsichert: "Wir sind einfach nicht sicher. Wir wissen nie, ob wir mit einer Spritze oder sonst wie angegriffen werden. Wir gehen aus, aber wir können nie wissen, wie der Abend endet."
Mit dieser Sorge sind sie nicht allein. Die Saison der Sommerfestivals hat gerade erst begonnen. Die Unbeschwertheit ist ihnen bereits genommen.

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