"Als Frau zu reisen, ist völlig sicher":Wie Influencer Afghanistan als Urlaubsziel inszenieren
von Oliver Klein und Nils Metzger
Influencer reisen nach Afghanistan und schwärmen von einem wunderschönen, scheinbar sicheren Land. Gefahren und das Leid der Bevölkerung werden systematisch ausgeblendet.
In sozialen Netzwerken präsentierten verschiedene Influencer Afghanistan als Reiseziel. Das Auswärtige Amt warnt dagegen vor möglichen Gefahren.
16.12.2025 | 1:46 minWer nach Afghanistan reist, sollte vorher sein Testament machen. Dazu rät das Auswärtige Amt auf seiner Webseite und warnt vor Anschlägen oder Entführungen. Dennoch preisen in Sozialen Medien zahlreiche Influencer - auch aus Deutschland - Afghanistan als interessantes Reiseziel an:
"Viele Leute wissen auch gar nicht, dass man überhaupt nach Afghanistan reisen kann", heißt es in einem TikTok-Clip des Reiseinfluencers Marinus Obermair aus dem bayerischen Voralpenland. In Sozialen Medien nennt der 22-Jährige sich "MoveLikeG", allein bei Instagram hat er über 350.000 Follower.
Vergangenes Jahr war er im Rahmen einer Weltreise auch in Afghanistan unterwegs. In seinen Clips schwärmt Obermair von der "schönen Seite dieses Landes", von kristallklaren Seen, Höhlendörfern und der Hauptstadt Kabul. In einem seiner Videos schüttelt er die Hand eines schwer bewaffneten Taliban und betont, er sei "immer gut behandelt" worden.
Marinus Obermair alias "MoveLikeG" mit schwer bewaffneten Taliban: "Ich wurd' bis jetzt immer gut behandelt"
Quelle: tiktok.com/@movelikegInfluencerin schwärmt von gesundem Essen
Auch andere Reiseblogger dokumentierten ihre Afghanistan-Reisen in Social-Media-Videos. Margaritta Steffens aus Deutschland schwärmt ihren rund 20.000 Followern bei TikTok von entspanntem Reisen und gesundem Essen vor. Was sie in Afghanistan macht? "Ferien. Urlaub von der westlichen Welt, mit sauberer Luft, klarem Himmel, authentischen Menschen mit Herz", heißt es in einem ihrer Clips.
Afghanistan habe "ihr Herz gestohlen" sagt die Britin Zoe Stephens. Ihren Accounts auf Instagram und TikTok folgen 320.000 Nutzer. Der dänische Reiseinfluencer Gustav Rosted aka "gus1thego" preist das Land wie in einem Werbefilm. In einem Clip erklärt er seinen fast 500.000 Followern bei TikTok, wie man selbst in Kabul mit der Dating-App Tinder nach Dates suchen kann.
Die humanitäre Katastrophe im Land bekommt kaum noch Aufmerksamkeit. Wir haben Menschen getroffen, die täglich Kontakt haben und berichten, wie es den Menschen im Land geht.
23.06.2023 | 14:21 minInfluencer blenden wesentlichen Teil der Realität aus
So zeigen diese Influencer ein gefiltertes Bild des Landes, dass das Gewaltregime der Taliban, die systematische Entrechtung von Frauen und die harten Lebensbedingungen der Menschen in einem der ärmsten Länder der Welt weitgehend ausblendet. Während Influencer von "gesundem Essen" dort schwärmen, leiden nach Angaben internationaler Organisationen etwa 20 Prozent der Menschen in Afghanistan an akuter Unterernährung.
Gefahren für Touristen werden teilweise als westliche Propaganda abgetan: "Nicht alles, was ihr aus Afghanistan in den Medien hört, stimmt - also müsst ihr vielleicht nach Kabul kommen und es selbst herausfinden", behauptet Stephens in einem ihrer Clips. In einem Posting klärt sie über angebliche "Reisemythen" auf: "Als Frau zu reisen, ist völlig sicher", heißt es. Auch Margaritta Steffens geht in einem ihrer TikTok-Clips nachts durch Kabul - "um zu zeigen, dass es sicher ist".
Margaritta Steffens läuft nachts durch Kabul, "um zu zeigen, dass es sicher ist" (Screenshot)
Quelle: youtube.com/@crownedandclearAuswärtiges Amt: Anschläge gehören zum Alltag
Dem widerspricht das Auswärtige Amt: Es fordert deutsche Staatsangehörige auf, das Land zu verlassen. Westliche Ausländer seien besonders gefährdet - Bombenanschläge, bewaffnete Überfälle und Entführungen gehörten seit Jahren zum Alltag, heißt es.
ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf kennt die Gefahren aus eigener Erfahrung: Afghanistan sei "alles andere als ein Ziel für Touristen", berichtet sie. Die Alltagskriminalität sei wegen der enormen Armut sehr hoch, ebenso wie das Risiko von Entführungen. Zudem gebe es einen sehr strengen religiösen Kodex, der sich durchaus zum Problem entwickeln könnte, wenn Menschen sich nicht dran halten. Das gelte vor allem für Frauen.
Taliban wollen Tourismus ankurbeln
Doch warum inszenieren westliche Influencer Afghanistan als relativ sicheres Urlaubsland? Für eine direkte Zusammenarbeit mit den Taliban gibt es keine Belege, mehrere der Influencer betonen auf Anfrage, kein Geld von den Taliban oder afghanischen Behörden zu erhalten. Doch die kurzen Clips spielen den Taliban in die Karten, die den Tourismus im Land ankurbeln wollen.
Wieder trifft es die Menschen in Afghanistan: Bei einem Erdbeben im Norden des Landes wurden Häuser und Straßen zerstört. Es soll mindestens 20 Tote geben und hunderte Verletzte.
03.11.2025 | 2:49 minFür manche Influencer steht offenbar ein Geschäftsmodell dahinter: Zoe Stephens organisiert beispielsweise selbst Reisen in Afghanistan, wo sie als Tourguide arbeitet. Wer mit solchen Touren Geld verdient, hat auch ein Interesse daran, das Land in einem guten Licht erscheinen zu lassen.
Influencer machen auch Werbung für Somalia und Nordkorea
Einige der Influencer promoten auch andere für Touristen problematische oder gefährliche Länder: Zoe Stephens und Gustav Rosted schwärmen beide auch für Nordkorea - wo Stephens davor jahrelang als Tourguide gearbeitet hatte. Rosted schreibt auf seiner Webseite von Gruppenreisen nach Syrien, die er noch zu Zeiten des Assad-Regimes organisiert hatte. Auch Somalia nennt er "ein Reiseziel, das man besucht haben sollte", lobt die "perfekten Strände".
Sie führen Krieg im Namen des Islam. Afghanistans Taliban sind zurück - 20 Jahre nach ihrer Entmachtung durch die USA und ihre Verbündeten. Ein ZDF-Team hat die Kämpfer begleitet - eine lebensgefährliche Mission.
26.02.2021 | 16:12 minUnheimliche Begegnung mit den Taliban
ZDFheute fragte mehrere Influencer, was sie zu dem Vorwurf sagen, die Gefahrenlage in Afghanistan herunterzuspielen und möglicherweise Menschen zu Reisen dorthin animieren. Marinus Obermair ließ über seinen Manager mitteilen, er zeichne kein beschönigtes Bild, sondern zeige "persönliche Erfahrungen aus einer sehr begrenzten Perspektive." Er würde stets betonen, dass seine Reisen "nicht als 'Urlaubsideen'" und "nicht zum Nachmachen" gedacht seien.
In einem Podcast berichtet er, wie er mit "Taliban-Schutz" gereist ist: "Die wollen Touris ins Land holen und haben krass auf mich aufgepasst." Geschildert wird all das als "crazy" und aufregend, ein "kalkuliertes Risiko", wie Obermair es im Video formuliert. Krieg, Waffen und Gewalt scheinen teils nicht mehr als Anekdoten, um den Abenteuertrip noch "krasser" erscheinen zu lassen.
Ich würde es auch nicht jedem empfehlen. Wenn du es wirklich sehen willst, dann kann ich dir sagen: Mach's, weil es okay ist.
Influencer Marius Obermair
Einen kurzen Blick hinter die Kulissen gab Reiseleiterin Stephens in einem Video von Anfang Dezember - wie sie bei einem Ausflug mit Freunden von Taliban beschattet wurde. "Das ist nun mal die Realität, wenn man als Tourist hierher reist. Sie wissen immer, wo du bist, was du tust", berichtet Stephens.
2021 übernahmen die Taliban erneut die Macht in Afghanistan - die Chronik des Scheiterns des internationalen Militäreinsatzes.
30.08.2021 | 44:12 minEine tiefere Reflektion über das Leben unter Taliban-Herrschaft folgte auch hier nicht. Auf ZDFheute-Anfrage räumt Stephens ein, dass sie durchaus ein Problem darin sieht, "ein so politisiertes Thema einfach auszublenden."
Ich thematisiere die Taliban nicht direkt, weil ich weiterhin im Land arbeite - ich zensiere meine Inhalte also ein Stück weit selbst.
Influencerin Zoe Stephens
Wenige Sekunden später in dem Clip zeigt sie sich schon wieder begeistert von lokalem Essen und freundlichen Menschen, die sie als eine der ihren akzeptiert hätten.
Influencer bekommt es mit der Angst zu tun
Auch Marinus Obermair wurde es in einer Situation offenbar mulmig. "Hier wurden gestern zwei Touristen erschossen, ich glaube sogar drei oder vier mit Führer", erklärt er in einem seiner TikTok-Clips aus Afghanistan. "Es ist hier passiert, an der Straße am Basar." Deshalb werde er jetzt nur schnell tanken und gleich weiterfahren. Dennoch bleibt sein Fazit am Ende seiner Reise:
Die Afghanistan-Experience ist für mich perfekt.
Influencer Marius Obermair