Gesundheitsanalyse im Netz:KI-Diagnose per Selfie: Gut oder gefährlich?
von Jan Schneider
|
Was verrät das Gesicht über die Gesundheit? Eine KI sagt: ganz schön viel. Von Nährstoffmangel bis zu emotionalem Ballast. Aber was davon stimmt - und was ist digitaler Humbug?
Gesundheitsanalyse per Selfie - ist das sinnvoll?
Quelle: Imago
Kann ein Selfie Hinweise auf unsere Gesundheit geben? Immer mehr KI-Anwendungen versprechen genau das: Aus einem einfachen Profilbild sollen Algorithmen Rückschlüsse auf biologisches Alter, genetische Syndrome oder gar Herz-Kreislauf-Risiken ziehen können.
Klingt nach Science-Fiction - doch es gibt bereits erste ernsthafte medizinische Ansätze. Gleichzeitig warnen Fachleute vor überhöhten Erwartungen. Und auch ein Selbstversuch zeigt: Die Grenzen solcher Analysen sind schnell erreicht.
Eine Klinik in Potsdam setzt Künstliche Intelligenz bei MRT-Untersuchungen und für schnellere Datenverarbeitung ein. Durch die gesparte Zeit können mehr Patienten behandelt werden.28.05.2025 | 2:33 min
Wenn das Gesicht mehr verrät, als wir denken
Aus ärztlicher Sicht ist die Idee, Krankheiten am Gesicht zu erkennen, keineswegs neu. "Zeichen bestimmter Erkrankungen in Bildern von Gesichtern zu finden, erscheint durchaus vorstellbar", sagt Sebastian Försch, Facharzt für Pathologie an der Universitätsmedizin Mainz. Der klassische Blick in das Gesicht eines Patienten - etwa zur Erkennung von Anämie, Gelbsucht oder genetischen Syndromen - sei Teil jeder körperlichen Untersuchung. Im Medizinstudium werde das systematisch gelehrt.
Entsprechende Hinweise auf Krankheiten im äußeren Erscheinungsbild werden bereits im Medizinstudium gelehrt, und die körperliche Untersuchung - einschließlich der Inspektion - ist ein grundlegender
Bestandteil der ärztlichen Diagnostik.
„
Sebastian Försch, Facharzt für Pathologie, Universitätsmedizin Mainz
Neu ist allerdings die Idee, diesen diagnostischen Blick zu automatisieren - mithilfe Künstlicher Intelligenz. Modelle wie "DeepGestalt" hätten bereits in Studien bewiesen, dass sie mit hoher Treffsicherheit seltene genetische Syndrome bei Kindern anhand von Gesichtsfotos erkennen können. In der Dermatologie seien ähnliche Systeme sogar schon im klinischen Einsatz, so Försch.
Matthias Spielkamp von der NGO AlgorithmWatch äußert sich zu den Risiken,
wie KI im Wahlkampf für Manipulationen missbraucht werden kann.
30.05.2024 | 3:36 min
Der Selbstversuch: KI als digitaler Gesundheitscoach?
Um das Versprechen solcher Tools selbst zu testen, hat ZDFheute ein Selfie mit einem komplexen Prompt in ein KI-Modell geladen - mit der Bitte, das Gesicht so zu analysieren, als wäre die KI ein erfahrener Mediziner, Ernährungsberater, Psychosomatikerin und Gesundheitsexpertin. Die Fragen reichten von geschätztem Alter über mögliche Mangelzustände und Unverträglichkeiten bis hin zu psycho-emotionalen Spuren im Gesicht.
Das Ergebnis: Das Alter wurde korrekt geschätzt, auch einige Hinweise auf Mangelerscheinungen bestimmter Nährstoffe und Vitamine waren schlüssig. Bei der Analyse psycho-emotionaler Muster war es schwerer, der KI zu folgen. Und es blieb sehr vage.
Es war überraschend sensibel formuliert, mit starker Orientierung an ganzheitlicher Gesundheitskultur. Doch gerade das zeigt: Hier vermischen sich Wellness-Coaching, Lebenshilfe und medizinische Sprache - ohne klinische Verlässlichkeit.
Assistenz statt Allwissen: Wo KI sinnvoll helfen kann
Auch deshalb betont Försch:
Solche Systeme dürfen das ärztliche Urteil nicht ersetzen, sondern lediglich unterstützen.
„
Sebastian Försch, Facharzt für Pathologie, Universitätsmedizin Mainz
Gerade angesichts von Fachkräftemangel, demografischem Wandel und steigendem Kostendruck seien technische Assistenzsysteme dringend notwendig. Ihr Potenzial sieht er vor allem in der Früherkennung und Vorsorge, gerade auch in Verbindung mit Telemedizin, um Menschen in strukturschwachen Regionen besser zu versorgen.
Doch das setzt klare Voraussetzungen voraus: "Validierung, Transparenz, Datenschutz und medicolegale Rahmenbedingungen" müssten zwingend geklärt sein. Ohne diese Grundlagen wäre jeder Einsatz leichtfertig - und potenziell riskant.
Fehlinterpretationen, Bias und Datenmüll
Denn Risiken gibt es viele. "Zu einer korrekten medizinischen Diagnose gehören weitaus mehr Informationen als ein Profilbild auf Facebook oder Instagram", warnt Försch. Wer auf KI-Diagnosen ohne ärztliche Rücksprache vertraut, könne schwerwiegende Fehlentscheidungen treffen. Gerade bei komplexen individuellen Verläufen - die heutige KI oft nicht vollständig abbilden kann - sei das gefährlich.
Hinzu kommt ein strukturelles Problem: Die Trainingsdaten solcher KI-Systeme stammen häufig aus dem Internet - einem Raum, in dem Verzerrungen, stereotype Darstellungen und Diskriminierung an der Tagesordnung sind. "Modelle, die mit diesen Daten trainiert werden, übernehmen die enthaltenen Vorurteile und Fehler natürlich in ihre Beurteilung", so Försch.
In einer aktuellen Studie aus Mainz und Dresden beschreiben Forschende sogar eine technische Schwachstelle in Vision-Language-Modellen: "Prompt Injections" - also gezielte, manipulative Texteingaben - können die Auswertung medizinischer Bilder massiv verfälschen. Was bei Histopathologie gilt, könnte auch für Selfie-KI-Systeme relevant werden.
Chancen und Risiken des Einsatzes von KI im Medizinsektor05.09.2023 | 6:20 min
Zwischen Hype und Verantwortung: Wie man mit der Technik sprechen sollte
Angesichts dieser Gemengelage rät Försch zur sachlichen Kommunikation:
Weder ein übermäßiger Hype noch die Angst vor der Apokalypse sind gerechtfertigt.
„
Sebastian Försch, Facharzt für Pathologie, Universitätsmedizin Mainz
Wichtig sei, dass KI-Tools gemeinsam mit medizinischen Fachleuten entwickelt und bewertet werden - und nicht als Selbstzweck oder PR-Maschinerie großer Tech-Konzerne dienen. Die ärztliche Fachwelt müsse im Zentrum stehen, wenn es um Patientensicherheit und gesellschaftliche Verantwortung gehe.
Die Idee, mit einem Selfie erste Hinweise auf die eigene Gesundheit zu bekommen, ist faszinierend - und keineswegs aus der Luft gegriffen. Erste medizinische Anwendungen existieren. Aber sie haben klare Grenzen. Eine echte medizinische Diagnose braucht mehr als ein Bild. Wer also KI-gestützte Gesundheits-Apps nutzt, sollte sich ihrer Chancen ebenso bewusst sein wie ihrer Risiken.