Gewalt in Geburtshilfe: "Spiegel der patriarchalischen Kultur"

Gewalt in der Geburtshilfe:"Ein Spiegel der patriarchalischen Kultur"

von Katharina Reiter
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Die Studienlage ist dünn. Die Daten zeigen allerdings: Gewalt während der Geburt erleben Frauen weltweit, aber auch hierzulande nicht bloß vereinzelt, sondern systematisch.

Kreißsaal in einer Hamburger Klinik
Eingriffe ohne Einwilligung, Verweigerung der Schmerzbehandlung, Vernachlässigung während der Geburt: Im Kreißsaal erfahren Frauen häufig Gewalt.
Quelle: dpa

Befragungen legen nahe, dass etwa jede dritte Frau von Gewalt während der Geburt betroffen ist. Die Vereinten Nationen mahnen seit Jahren, dass die Verpflichtung, Frauen zu schützen und Gewalt in der Geburtshilfe zu bekämpfen, keine Verzögerung dulde.

Was ist mit Gewalt in der Geburtshilfe gemeint?

Körperliche Misshandlung, Demütigung und Beleidigung, aufgezwungene oder ohne ausdrückliche Einwilligung vorgenommene medizinische Eingriffe, Verweigerung der Schmerzbehandlung und die Vernachlässigung von Frauen während der Geburt: Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) handelt es sich hierbei um "Gewalt".
Viele Betroffene entwickeln posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen oder Bindungsstörungen. Was subjektiv als Gewalt empfunden wird, stellt aber nicht zwangsläufig eine Körperverletzung im juristischen Sinn dar.
Eine Person in einem grünen OP-Kittel und mit Gummihandschuhen hält ein neugeborenes Baby auf dem Arm.
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Ärztliche Aufklärung muss Eingriff vorangehen

"Grundsätzlich erfüllt jeder ärztliche Heileingriff den Tatbestand der Körperverletzung", erklärt Sabrina Diehl, Fachanwältin für Medizinrecht. Im Regelfall führe die Einwilligung der Patientin in den Heileingriff jedoch dazu, dass eine Strafbarkeit entfalle. Dieser Einwilligung müsse aber eine ärztliche Aufklärung vorangehen, so Diehl.

Einige Behandlungsmethoden wie die Gabe bestimmter wehenfördernder Mittel, der Einsatz von Geburtszangen und Saugglocken sowie die Vornahme eines Kaiserschnitts bedürfen immer der Einwilligung der Frau, deren individuelle Risiken der Aufklärungsbogen nicht immer umfasst.

Sabrina Diehl, Fachanwältin für Medizinrecht

Lehne eine Patientin eine Behandlungsmethode ab, dürften sich Ärzte über die fehlende Einwilligung grundsätzlich auch dann nicht hinwegsetzen, wenn die Entscheidung der Patientin unvernünftig sei, so Diehl.
Nur in Ausnahmefällen bedürfe es keiner Einwilligung - etwa, wenn die Patientin nicht in der Lage sei, einzuwilligen. Hier muss der mutmaßliche Wille der Patientin ermittelt werden.
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Ärzte können sich strafbar machen

In der Praxis kommt es dennoch vor, dass Patientinnen nicht vor jedem Eingriff aufgeklärt und keine Einwilligungen eingeholt werden. In diesen Fällen könnten sich Ärzte nicht nur schadensersatzpflichtig, sondern auch strafbar machen, betont Medizinrecht-Expertin Diehl.
Ein solches Vorgehen könne zur Folge haben, dass die Betroffenen die Geburt als traumatisch erleben, weil sie das Gefühl haben, mit ihnen werde etwas gemacht, ohne dass sie ein Mitspracherecht haben, sagt Katharina Desery von der Organisation Mother Hood.
Auch wenn umfassend über Eingriffs- und Behandlungsmethoden aufgeklärt und eine Einwilligung eingeholt wird, geschieht dies häufig erst während der Geburt. Zu spät, findet Diehl. Sie spricht sich für eine frühere Aufklärung und transparentere Kommunikation aus:

Aus Sicht der Rechtsprechung müsste man früher ansetzen, um die Frauen dahingehend zu sensibilisieren, dass es auch zu unvorhergesehenen Situationen kommen kann.

Sabrina Diehl, Fachanwältin für Medizinrecht

Derzeit ist im Gesetz (§ 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB) nur geregelt, dass die Aufklärung "so rechtzeitig" erfolgen muss, dass die Patientin eine "wohlüberlegte Entscheidung" treffen kann. Eine konkrete zeitliche Vorgabe macht das Gesetz aber nicht.

Auch Desery bemängelt, dass Frauen oftmals nicht gut informiert würden: "Bei jedem anderen medizinischen Eingriff wird dem Patienten in der Regel erklärt, was mit ihm gemacht wird. In der Geburtshilfe spielt diese Aufklärung unserer Erfahrung nach häufig eine untergeordnete Rolle."

Oft wird über den Kopf der Frau hinweg entschieden.

Katharina Desery, Organisation Mother Hood e.V.

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Wo liegen die Ursachen?

Der Europarat bezeichnet die Gewalt in der Geburtshilfe als "Spiegel einer patriarchalischen Kultur", die in der Gesellschaft, auch im medizinischen Bereich, noch immer dominierend sei.
Neben dem Umstand, dass die Gesundheit von Frauen nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Politik in der Vergangenheit massiv vernachlässigt wurde, gibt es für die systematische Gewalt weitere Ursachen. Vor allem die strukturellen Defizite in der Gesundheitsversorgung und die prekären Arbeitsbedingungen von Hebammen spielen eine Rolle.
Aber auch in der Ausbildung von Hebammen und Gynäkolog*innen müsse sich etwas ändern, Kliniken müssten umdenken: Denn eine Geburtshilfe mit gutem Ruf müsse als Investition und als Qualitätsmerkmal betrachtet werden, so Desery.

Die Körperverletzung ist in § 223 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt und schützt das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit, welches in Art. 2 Abs. 2 GG verankert ist. Eine Körperverletzung liegt gemäß § 223 StGB im Falle einer körperlichen Misshandlung oder Gesundheitsschädigung vor. Als körperliche Misshandlung wird eine üble und unangemessene Behandlung definiert, durch die das Opfer in seinem körperlichen Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird.

Eine Gesundheitsschädigung setzt das Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen (krankhaften) Zustands voraus. Ein pathologischer Zustand liegt in diesem Sinne vor bei jeder nachteiligen Veränderung der körperlichen Verfassung.

Damit eine Körperverletzung nach § 223 StGB strafbar ist, muss der Täter außerdem vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft handeln. Daneben ist im Gesetz auch die fahrlässige Körperverletzung geregelt (§ 229 StGB).

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