Deutsches Chorfest in Nürnberg: Wie Chöre künftig singen wollen
Deutsches Chorfest in Nürnberg:Chöre im Wandel - wie Singen neue Wege findet
von Michael Kniess
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Wie klingen Chöre von morgen? Die Chorszene steckt in einem tiefgreifenden Wandel. Ihre Zukunft: Offenheit, Vielfalt, neue Formate. Wie Chöre in Deutschland sich neu erfinden.
Viel mehr als gemeinsames Singen: Chöre sind soziale Kraft, fördern Integration, stärken Gesundheit und Immunsystem und reduzieren Stress. (Archivfoto)
Quelle: Imago
Es wird nach wie vor miteinander gesungen im Land. Das beweisen mehr als 400 Chöre mit rund 12.000 Sängern, die derzeit in Nürnberg beim Deutschen Chorfest 2025, dem größten Amateurmusikfestival im Land, zusammenkommen. Allein im Deutschen Chorverband sind bundesweit 13.000 Chöre mit rund 700.000 Mitgliedern organisiert.
Hinzu kommen Kirchenchöre, Schulchöre und Chöre von Musikschulen. Und doch steckt die deutsche Chorlandschaft in einem tiefgreifenden Wandel.
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Mitgliederschwund hier, großer Zulauf da
Während traditionelle vereinsorientierte Chöre oder Kantoreien mit Mitgliederschwund zu kämpfen haben, freuen sich neue Formate, wie Kneipenchöre oder Rudelsingen über großen Zulauf. Eine Entwicklung, die für Johannes Hasselhorn, Professor für Musikpädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, ein Abbild der gesellschaftlichen Entwicklung ist:
Wir leben in einer Zeit, in der sich Menschen nicht mehr gerne langfristig binden wollen und sich ungern festlegen, jede Woche zu einer bestimmten Zeit zur Chorprobe zu kommen.
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Johannes Hasselhorn, Prof. für Musikpädagogik an der Uni Erlangen-Nürnberg
Hinzu kommen Zeitknappheit und berufliche Belastung. Kinder- und Jugendchöre kämpfen um Aufmerksamkeit in einem Freizeitangebot, das digitaler, schneller und lauter geworden ist. Für Johannes Hasselhorn ist das Unterfangen, den Menschen das Erlebnis des gemeinsamen Singens dennoch nahezubringen, jede Anstrengung wert. Denn für ihn geht es um mehr als nur um das Singen.
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Das Deutsche Chorfest bringt vom 29. Mai bis 1. Juni Chöre aller Genres nach Nürnberg: von Kinderchören über Männergesangvereine, Kantoreien oder Hochschulensembles bis hin zu Vocal Bands. Beim größten Amateurmusikfestival in Deutschland laden rund 400 Chöre mit 12.000 Sängern zu mehr als 600 Konzerten für alle ein. Veranstaltet wird das Deutsche Chorfest regulär alle vier Jahre vom Deutschen Chorverband an wechselnden Austragungsorten. Zuletzt waren Leipzig, Stuttgart, Frankfurt am Main und Bremen die Gastgeberstädte.
Christian Wulff, Präsident des Deutschen Chorverbands, stellt die Relevanz dieses Großereignisses heraus: "Das größte Amateurmusikfestival Deutschlands wird in diesem Jahr ganz bewusst unter dem Motto 'Stimmen der Vielfalt' gefeiert und lädt als ein Fest der Begegnung zum menschlichen Miteinander, zum aufeinander Zugehen, Zuhören und Mitsingen ein."
Mehr als Musik: Chöre als soziale Kraft
Chöre haben wichtige gesellschaftliche Funktionen. Sie stiften Identität, fördern Integration, stärken die Gesundheit und ermöglichen Teilhabe. Studien belegen, dass gemeinsames Singen Stress reduziert, das Immunsystem stärkt und das Gemeinschaftsgefühl fördert.
Singen bringt Menschen zusammen, hilft gegen Einsamkeit und stärkt die soziale Kompetenz.
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Veronika Petzold, Geschäftsführerin des Deutschen Chorverbands
Das betont Veronika Petzold, Geschäftsführerin des Deutschen Chorverbands. "Beim Chor lernen Menschen aufeinander zu hören, sich in eine Gruppe einzufügen und gemeinsam zu gestalten."
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Ins Leben gerufen hat das Kneipenchorprojekt Thomas Kaminski. Der studierte Musiklehrer aus Bamberg hat bereits einige erfolgreiche Kneipenchöre in Franken etabliert. Sein Ansinnen: "Orte zu schaffen, an denen Menschen miteinander singen, die sonst wahrscheinlich nie im Leben aufeinandergetroffen wären, und sie in den Austausch bringen."
Zukunftsmodelle: Chöre als Orte des Austauschs
Bei den "Freggern" sieht das so aus: Geprobt wird nicht im Hinterzimmer eines Vereinsheims, sondern in einem Szene-Club und mit steigenden Temperaturen auch gerne mal an der frischen Luft in der Innenstadt. Gesungen werden neueste Hits genauso wie Klassiker aus den 80ern.
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Und ganz nebenbei kommen Rentner, Studenten, Handwerker und Juristen miteinander ins Gespräch, man bietet sich gegenseitig Hilfe an, macht Ausflüge zusammen. Es entsteht eine Gemeinschaft und ein Netzwerk. Und die unkonventionellen Auftritte, die auch schon mal morgens in der Bahnhofshalle stattfinden, sorgen wiederum dafür, dass auch andere Lust bekommen, selbst mitzusingen.
Mehr Anstrengung brauche es dagegen in Kindertagesstätten und Schulen, um auch die Jüngsten wieder ans Singen heranzuführen, kritisiert Veronika Petzold. Allzu oft spiele der Musikunterricht eine nur untergeordnete Rolle. Ein Problem, das auch Johannes Hasselhorn sieht: "Wer als Kind nicht Singen als etwas Alltägliches erlebt, fängt auch im Erwachsenenalter seltener damit an."
Der Chor lebt, solange er sich verändert
Sorgen um die Zukunft der deutschen Chorlandschaft macht er sich dennoch genauso wenig wie Veronika Petzold. Seit er denken könne, habe er immer wieder einen Abgesang auf den Chor vernommen, so Johannes Hasselhorn. Doch der Chor lebe, solange er sich immer wieder verändere. Gefragt sind dafür Offenheit, Experimentierfreude und der Mut, sich auch in ungewohnten Räumen zu bewegen. So wie es beispielsweise die "Fregger" tun.
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