Missbrauchsstudie in Passau: 672 Betroffene und 154 Beschuldigte

Laut Studie seit 1945:Missbrauch im Bistum Passau: Mindestens 672 Betroffene

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Mindestens 672 missbrauchte oder misshandelte Kinder und Jugendliche, 154 mutmaßliche Täter. Die Bilanz einer Studie, die Übergriffe im Bistum Passau seit 1945 untersucht hat.

Die weißen Türme des Passauer Doms mit grüner Spitze vor grauem Himmel

Seit 1945 sind mindestens 672 Minderjährige von Geistlichen im Bistum Passau missbraucht oder misshandelt worden. Das zeigt eine neue Studie der Universität Passau.

08.12.2025 | 0:26 min

Im Bistum Passau sind seit 1945 mindestens 672 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht oder körperlich von Geistlichen misshandelt worden - während einer Internats- oder Heimunterbringung, im Religionsunterricht oder beim Ministrantendienst. Die Opfer waren überwiegend Jungen.

154 Geistliche seien übergriffig gewesen - sie haben demnach Gewalt ausgeübt, Hunderte Minderjährige sexuell missbraucht oder beides.

Das ist das Ergebnis einer am Montag auf der Internetseite der Universität Passau veröffentlichten Studie, die ein Team der Hochschule unter Leitung des Historikers Marc von Knorring im Auftrag der Unabhängigen Aufarbeitungskommission erarbeitet hat.

Passau: Weit mehr Opfer möglich

Die Zahl von "wenigstens 672" Minderjährige, die von Missbrauch betroffen waren, bezieht sich laut Studie auf den Zeitraum "seit 1945 bis um 2020". Nach Schätzung könnten es aber auch doppelt so viele Opfer gewesen sein, vieles liege im Dunkeln. "Plausibel erscheint es aber in jedem Fall, dass die tatsächliche Zahl der Betroffenen im Bistum Passau über dem gesichert erscheinenden Minimalwert von 672 liegt", heißt es in dem rund 400 Seiten starken Bericht.

Die 154 Beschuldigten seien etwa 6,4 Prozent der in diesem Zeitraum geschätzt 2.400 tätigen Priester, Diakone und Ordensgeistlichen. 128 dieser Kleriker sollen sich sexuell an Kindern und Jugendlichen vergangen haben. "Dies ist nur wenig mehr, als laut anderen Studien in anderen Bistümern zu ermitteln war, was in erster Linie auf Unterschiede in der Methodik zurückzuführen sein dürfte und nicht zwangsläufig auf einen Sonderfall hindeutet", heißt es in der Studie. 86 Prozent der Verdächtigen seien mutmaßlich Mehrfachtäter.

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Bereits am 29. November war die Untersuchung an Bischof Stefan Oster, an die Kommission und den Betroffenenbeirat übergeben worden. Ergebnisse wurden bewusst noch nicht bekannt gegeben.

Laut von Knorring waren nicht nur die Beschuldigten oder überführten Täter verantwortlich. Grund seien auch "Denk- und Handlungsweisen innerhalb des Systems Kirche" gewesen. Sie hätten in der Vergangenheit dazu geführt, dass insbesondere in den Reihen von Bischöfen und Generalvikaren in vielen Fällen der Schutz der Institution und Priesterschaft über das Wohl von Betroffenen gestellt worden sei. Seit 2010 habe das Bistum aber nach und nach vieles an Prävention und Aufarbeitung geleistet.

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Kommission schaut auf die, die weggesehen haben

Der Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, Guido Pollak, ging in seiner Reaktion ebenfalls auf die "Bystander" ein. So habe die Forschung ergeben, dass dazu über viele Jahre hinweg auch Richter, Staatsanwälte, medizinische Gutachter, Jugendämter, Schulämter und Schulleitungen zu rechnen gewesen seien. Hier stelle sich die Frage nach dem gesellschaftlichen Umfeld, in dem die Kirche agiere.

Erörtert werden muss nach Ansicht des Erziehungswissenschaftlers auch die Rolle des Bischofs. Die Vorgänger von Oster mögen über die psychologischen und soziologischen Gesetzmäßigkeiten weniger aufgeklärt gewesen sein als dieser mit seinem heutigen Erkenntnisstand über die Zusammenhänge von Macht und Gewalt. Für die Kommission stelle sich jedoch die Frage, "wie weit Bischof Stefan in seiner Verantwortung für die Menschen im Bistum kirchliche Machtausübung öffentlicher Transparenz und unabhängiger Kontrolle unterwirft".

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Der Passauer Bischof Oster zeigte sich betroffen: "Verantwortliche der Kirche wollten sich und das Ansehen ihrer Institution schützen, wollten gnädig mit Tätern sein und waren vor allem blind für betroffene Kinder und Jugendliche. Das ist der größte Skandal."

Ich kann nur einmal mehr voll Scham bekennen, dass verantwortliche Personen bei diesem Thema in der Kirche massiv versagt haben. Ich kann auch heute wieder nur im Rückblick mit großer Hilflosigkeit um Verzeihung bitten, weil vieles einfach nicht wieder gut zu machen ist.

Stefan Oster, Bischof von Passau

Oster dankte vor allem den Betroffenen, die sich für die Studie zur Verfügung gestellt hatten. Auch wenn sich das Bistum neu aufgestellt und die Prävention verstärkt habe, sei man noch nicht am Ziel. "Wir brauchen auch in der Fläche in unseren Gemeinden einen noch stärkeren Kulturwandel."

Personalakten untersucht, Betroffene und Zeitzeugen angehört

Die Studie trägt den Titel "Sexueller Missbrauch und körperliche Gewalt. Übergriffe auf Minderjährige durch katholische Geistliche im Bistum Passau 1945 bis 2022". Drei Jahre lang waren rund 2.400 Priester-Personalakten gesichtet sowie 25 Betroffene und knapp 35 weitere Zeitzeugen interviewt worden.

Damit ist Passau die vierte bayerische Diözese nach München und Freising, Würzburg und Augsburg, die Zahlen offenlegen wird. Nach Einschätzung des Studienleiters wird die Studie Aufsehen erregen. "Ich denke, dass wir Ergebnisse haben, die in den interessierten Teilen der Bevölkerung so nicht unbedingt erwartet werden", sagte er dem "Passauer Bistumsblatt".

Quelle: KNA, dpa
Über dieses Thema berichtete ZDFheute Xpress in dem Beitrag "Über 670 Missbrauchsfälle seit 1945" am 08.12.2025 um 11:45 Uhr.

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