Warum treten Politiker (nicht) zurück? | Terra-X-Kolumne

Kolumne

Terra X - die Wissens-Kolumne:Was Rücktritte in der Politik verraten

von Lea Dohm
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Warum gehen manche Politiker freiwillig - und andere nie? Psychologie, Macht und Selbstbild prägen Rücktrittsentscheidungen stärker als Fakten allein.

Terra X | Nano - Die Wissens-Kolumne: Lea Dohm


Öffentliche Rücktritte haben vielfältige Ursachen: Manche Menschen treten zurück, um die Würde und das Fundament eines Amtes zu schützen. Andere, weil sie Ziel einer diffamierenden, auf Falschinformation fußenden Kampagne geworden sind und die Belastung für sich und die eigene Familie nicht mehr aushalten möchten.

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.


Wieder andere bleiben, selbst wenn sie massive Fehler gemacht haben, zum Beispiel Milliarden Euro verschwendet oder Vetternwirtschaft betrieben haben. Diese Unterschiede entstehen nicht nur durch politische Kultur oder Medienberichterstattung - auch wenn das wichtige Faktoren sind. Die Entscheidung, ein öffentliches Amt niederzulegen, ist immer auch eine tief psychologische.

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15.10.2023 | 26:57 min

Das Selbstbild als Schlüssel

Als Menschen achten wir darauf, unser Selbstwertgefühl im Gleichgewicht zu halten. Wir wollen uns als integre Person erleben. Wenn dieses Bild ins Wanken gerät, versuchen wir, es schnell wieder zu stabilisieren. Das ist verständlich, denn so lassen sich zum Beispiel Gefühle von Scham oder Gesichtsverlust umgehen.

Gerade Menschen, die sich stark über die eigene Position definieren, suchen bei Fehlern intuitiv nach Rechtfertigungen, selbst wenn eigene Versäumnisse schon offenliegen. Man möchte im öffentlichen Diskurs die Kontrolle über das eigene Bild behalten. Einfacher formuliert: Selbstschutzmodus.

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Integrität vor Macht

Der umgekehrte Fall: Ein freiwilliger Rücktritt, und damit ein Verzicht auf Macht, wird begünstigt durch ein Selbstbild, das nicht allein über das Amt definiert ist. Diese Menschen knüpfen ihre Identität zum Beispiel stärker an ihre persönliche Integrität als an Status, Geld oder Einfluss. So wird ein Rücktritt selbst in den Fällen möglich, in denen gar kein persönlicher Fehler vorliegt.

Macht als Selbstwert-Booster

Die politische Bühne macht diese psychologischen Unterschiede besonders sichtbar, denn der öffentliche Druck ist hoch und Rücktritte werden hier selten belohnt. Macht wirkt selbstwertstabilisierend und damit verführerisch, und wer geht, verliert Einfluss.

Zugleich werden narzisstische Anteile und ein teflonartiger Umgang mit eigenen Verfehlungen eher belohnt. Das ist schwer zu ändern. Gerade langjährige Amtsinhaber, die stark mit ihrer Rolle verwachsen sind, neigen dazu, Selbstkritik eher auszublenden - ein schwieriger Befund für die politische Kultur.

Eric Mayer steht vor einer Grafik, auf der eine Gruppe von Menschen abgebildet ist, die über eine Einzelperson lachen und mit dem Finger auf sie zeigen, während diese sich meditierend dagegen abschottet.

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02.09.2024 | 27:00 min

Fehlerkultur oder Vertrauensverlust

Bleiben notwendige Rücktritte aus, sinkt das ohnehin fragile Vertrauen der Bürger*innen in die Politik weiter. Denn Vertrauen hängt keineswegs davon ab, ob Politiker*innen fehlerlos sind (das ist eh niemand), sondern ob sie der übernommenen Verantwortung glaubwürdig gerecht werden.

Hilfreich, um eine solche Haltung zu fördern, ist eine gelebte und transparente Fehlerkultur. Wenig hilfreich ist jeder ausgesessene Skandal, denn dieser kann stets anderen als Türöffner dienen, es im Zweifel ebenso zu handhaben.

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Hätte Jens Spahn zurück treten müssen? Markus Lanz diskutiert über die politische Aufarbeitung der Maskendeals und strittige Regierungsentscheidungen.

03.07.2025 | 75:23 min

Stärke zeigt sich auch im Gehen

Man würde sich vielleicht wünschen, dass die Frage, ob jemand wirklich einen Fehler gemacht hat oder nicht, für eine Rücktrittsentscheidung grundlegend ist. Eine unbenommen zentrale Frage - doch ihre Konsequenz hängt eben immer auch von der Person an sich ab.

Wer eher bereit ist, Konsequenzen zu ziehen, ist psychisch keineswegs schwächer oder fragiler aufgestellt. Freiwillige Rücktritte können eher auf ein stabiles Selbst und gelebte Verantwortung hinweisen. Denn eine vertrauenswürdige, krisenresiliente Demokratie braucht Menschen, die als Vorbilder agieren und sich gerade unter Druck weniger von Macht und mehr von Vernunft und Mitmenschlichkeit leiten lassen.

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... ist Dipl.-Psychologin und Transformationsberaterin bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) e.V. sowie Mit-Initiatorin der Psychologists for Future (Psy4F) e.V.. Sie ist außerdem tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutin mit einiger klinischer Erfahrung und Fach- und Sachbuchautorin. Für Menschen, die sich verletzlich und nahbar zeigen können, hat sie große Sympathien.


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