Teurer Kohlekompromiss
von Christian Esser, Andreas Halbach und Joe Sperling
|
Zum Schutz von Klima, Umwelt und Gesundheit soll spätestens Ende 2038 die Zeit der Kohleverstromung endgültig vorbei sein. Das hat die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission fast einstimmig beschlossen.
Es ist ein historischer Kompromiss, den Energiewirtschaft, Bergarbeiter und Umweltverbände gemeinsam tragen. Die vom Kohleausstieg betroffenen Länder sollen über 20 Jahre insgesamt 40 Milliarden Euro an Steuergeldern vom Bund bekommen, doch in der Lausitz beklagen Bürgermeister eine mangelnde Vorbereitung auf den Strukturwandel. Zudem bezweifeln Umweltverbände die Klimawirkung, Bergleute fürchten um ihre Jobs sowie die Zukunft Ihrer Kinder und die regierenden Parteien um die bevorstehenden Landtagswahlen in den Kohleländern Brandenburg und Sachsen.
"Als Abschlussdatum empfiehlt die Kommission Ende des Jahres 2038", steht im Bericht. Dazu kommt eine "Öffnungsklausel", auf die die Umweltverbände setzen: Wenn Strommarkt, Arbeitsmarkt und wirtschaftliche Lage es hergeben, kann das Ausstiegsdatum im Einvernehmen mit den Betreibern auf 2035 vorgezogen werden. 2032 soll das überprüft werden. Auch 2023, 2026 und 2029 soll der Ausstiegsplan auf den Prüfstand mit Blick auf Versorgungssicherheit, Strompreise, Jobs und Klimaziele.
Ende 2017 waren Kohlekraftwerke mit einer Netto-Leistung von 42,6 Gigawatt (GW) am Markt, dazu kommt eine Reserve. Nach und nach gehen sie ohnehin vom Netz. Jetzt soll es schneller gehen: Bis 2030 sollen noch höchstens 17 GW am Markt sein, 2038 ist spätestens Schluss. Bis 2022 sollen insgesamt 12,5 GW vom Netz gehen. Besonderen Wert legen Klimaschützer darauf, dass darunter 3,1 GW Braunkohle zusätzlich sind - Braunkohle-Kraftwerke stoßen besonders viele Treibhausgase aus und werden von den CO2-Preisen in der EU nicht so schnell aus dem Markt gedrängt. Welche Kraftwerke abgeschaltet werden, gibt die Kommission nicht vor. Das soll die Politik nun mit den Betreibern aushandeln.
Ab 2023 sieht die Kommission vor, dass der Bund Privatleute und Unternehmen von steigenden Strompreisen entlastet. Sie schlägt einen Zuschuss zu den Netzentgelten vor, die Teil der Stromrechnung sind - und rechnet mit Kosten von zwei Milliarden Euro pro Jahr. Neue Umlagen oder Abgaben soll es nicht geben. Zusätzlich soll der Bund energieintensive Unternehmen entlasten, die davon nichts haben, weil sie von Netzentgelten schon jetzt befreit werden. Die sogenannte Strompreiskompensation, eine weitere Subvention für energieintensive Unternehmen, soll bis 2030 fortbestehen.
Um die Wirtschaft umzubauen, soll der Bund in den betroffenen Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt in die Infrastruktur investieren, Behörden und Forschung ansiedeln und Unternehmen fördern. Die Maßnahmen sollen gesetzlich festgeschrieben werden - schon Ende April soll es dafür Eckpunkte geben. Ein Staatsvertrag soll die künftigen Bundesregierungen daran binden. Kosten aus Sicht der Kommission: 1,3 Milliarden Euro pro Jahr über 20 Jahre. Dazu sollen den Ländern 0,7 Milliarden pro Jahr bereitgestellt werden, die nicht an Projekte gebunden sind. Obendrauf kommt zur Verbesserung des Verkehrs ein "Sonderfinanzierungsprogramm" und ein Sofortprogramm bis 2021 im Umfang von 1,5 Milliarden Euro, die bereits im Bundeshaushalt bis 2021 eingeplant sind.
Die Kommission empfiehlt, zu Stilllegungen für Braunkohlekraftwerke mit den Betreibern eine "einvernehmliche Vereinbarung" zu erzielen. Diese solle sowohl Entschädigungen für die Betreiber als auch Regelungen über die sozialverträgliche Gestaltung enthalten. Auch ein Ausschreibungsmodell ist denkbar. "Die Kommission geht davon aus, dass in den Verhandlungen mit den Betreibern von Braunkohlekraftwerken die gesamte Planung bis 2030 einvernehmlich geregelt wird." Falls das bis 30. Juni 2020 nicht klappt, empfiehlt die Kommission eine ordnungsrechtliche Lösung mit Entschädigungszahlungen "im Rahmen der rechtlichen Erfordernisse".
Die Kohlekommission sieht bei neuen Jobs in den von einem Kohleausstieg betroffenen Regionen auch den Bund in der Pflicht. Die Schaffung von insgesamt bis zu 5.000 neuen Arbeitsplätzen durch den Bund bis spätestens 2028 sei "angemessen". Die Vorbereitungen hierzu sollen möglichst noch in dieser Legislaturperiode getroffen werden, also bis 2021. Vor allem in der Lausitz, im Mitteldeutschen Revier und im Rheinischen Revier hängen rund 20.000 Arbeitsplätze direkt an der Kohle, indirekt sind es noch deutlich mehr. Die Kommission nennt eine Zahl von rund 60.000 Arbeitsplätzen alleine für die Braunkohle. Zitat aus dem Kommissionsbericht: "Durch eine Stärkung der Präsenz der öffentlichen Hand in den Revieren, vor allem durch die Verlagerung und den Ausbau von Behördenstandorten in den Revieren, wird das Bekenntnis von Bund und Ländern zur Zukunft der Reviere greifbar."
Für Kohle-Beschäftigte ab 58 Jahre, die die Zeit bis zum Renteneintritt überbrücken müssen, soll es ein Anpassungsgeld geben - sowie einen Ausgleich von Renten-Einbußen. Geschätzte Kosten: bis zu fünf Milliarden Euro, die Arbeitgeber und Staat gemeinsam schultern könnten. Betriebsbedingte Kündigungen sollen ausgeschlossen werden. Für jüngere Arbeitnehmer soll es Aus- und Weiterbildung geben, Vermittlung in andere Jobs und Hilfe bei Lohneinbußen.
Der Waldstück am Tagebau Hambach ist zum Symbol der Anti-Kohle-Bewegung geworden. Im Bericht steht, die Kommission halte es für "wünschenswert", dass der Hambacher Forst bleiben soll. Der Energiekonzern RWE will den Wald eigentlich für den Braunkohleabbau roden lassen; ein Gericht hatte das gestoppt. Darüber hinaus sind an den Tagebauen in West und Ost Dörfer vom Kohlebagger bedroht. Die Kommission bittet die Landesregierungen um einen "Dialog" mit den Betroffenen zu den Umsiedlungen, "um soziale und wirtschaftliche Härten zu vermeiden".