Sicherheitslage: Woher kommt das Gefühl der Unsicherheit?

Gefühlte Unsicherheit:Sicherheitslage: Woher kommt das Unbehagen?

Houben Luisa
von Luisa Houben
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Viele begleitet nachts in Innenstädten ein Gefühl der Unsicherheit - das zeigt auch eine aktuelle Studie. Experten erklären, welche Faktoren das Empfinden von Menschen bestimmen.

Menschen laufen über die Königsstraße in der Stuttgarter Innenstadt
Viele fühlen sich laut einer aktuellen Umfrage aus Baden-Württemberg nachts unsicher in der Öffentlichkeit - woran liegt das?31.01.2025 | 6:11 min
Am späten Abend mitten in der Stuttgarter Innenstadt: Menschen sind auf dem Weg in Restaurants, Bars oder zum zentral gelegenen Schlossplatz. An Bänken stehen kleine Gruppen, quatschen, trinken und hören Musik. Dabei haben manche kein gutes Gefühl:

Hier laufen sehr viele Betrunkene und Bekiffte rum oder einfach Männer ohne Verstand, die einen die ganze Zeit angaffen oder ansprechen. Einfach ekelhaft.

Clara, 17 Jahre alt

Wenn ich oft an derselben Stelle chille und sehe, andere gucken schon, dann denke ich mir, da passt irgendwas nicht, da gehe ich mal lieber weg.

Mohammed, 22 Jahre alt

Fast jeder Zweite fühlt sich in Baden-Württemberg nachts unterwegs unsicher. Das ist ein Ergebnis einer aktuellen Befragung im Auftrag des Innenministeriums. Eine bundesweite ARD-Umfrage ergab, dass sich 40 Prozent im öffentlichen Raum eher unsicher oder sogar sehr unsicher fühlen - 17 Prozent mehr als noch im Jahr 2017.
Häusliche Gewalt
Ob Sexualdelikt, häusliche Gewalt oder Mord: Übergriffe gegen Frauen haben in allen Bereichen zugenommen. Das zeigen die Zahlen des Bundeskriminalamtes. 19.11.2024 | 1:30 min

Experte: Sicherheitslage kann sich vom subjektiven Empfinden unterscheiden

Ein Gefühl, das nicht unbedingt zur gemessenen Kriminalitätsbelastung passt. "Die objektive Sicherheitslage und das subjektive Sicherheitsgefühl müssen nicht zusammenhängen," sagt Thomas Mößle. Er ist Professor an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg und Leiter der landesweiten Sicherheitsbefragung im Auftrag des Innenministeriums.
Objektiv habe Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich eine sehr geringe Kriminalitätsbelastung. "Beim Sicherheitsgefühl sind wir wiederum vergleichbar mit anderen Bundesländern", sagt Mößle. Das zeige, dass das Empfinden nicht nur von Bedingungen vor Ort bestimmt werde.

Ich kann es gar nicht belegen, was mich eigentlich so unsicher fühlen lässt.

Verena

Bei der aktuellen politischen Lage denke ich als Muslima mit Kopftuch immer, es kann was passieren.

Melissa, 25 Jahre alt

Wer sich wo wie sicher fühlt, ist sehr individuell. Bei einer Befragung in Stuttgart waren es vor allem junge, migrantische Frauen und queere Menschen, die sich fürchteten - vor respektlosem Verhalten und sexueller Belästigung.
"Entscheidend ist, wie sehr sich Menschen vor Gefahren gewappnet fühlen, ob sie Opfer kennen oder in ihrem sozialen Umfeld von Opfern gehört haben und wie gut sie bestimmte Orte kennen", sagt Rita Haverkamp, Professorin für Kriminalprävention und Risikomanagement an der Universität Tübingen.
03.01.2018, Großbritannien, London: Ein Smartphone-Display mit Symbolen von Social-Media-Apps, darunter Facebook, Instagram, YouTube und WhatsApp.
Hass im Netz ist ein großes Problem. Opfer sind laut einer Studie der TU München oft Menschen, die sich politisch engagieren. Besonders betroffen sind Frauen.15.01.2025 | 1:32 min

Politische Lage und Berichterstattung verstärken Unsicherheitsgefühl

Und noch etwas beeinflusse laut Haverkamp das eigene Sicherheitsgefühl: Die allgemeine politische Lage.

Transformationsprozesse und immense Krisen verstärken das Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung.

Rita Haverkamp, Universität Tübingen

Es sei eine diffuse Angst vor Kriminalität, sagt Mößle. "Die gerade beeinflusst wird von weltweiten Krisen und Konflikten oder der Sorge um den Arbeitsplatz."
Verstärkt werde das Gefühl von aktuellen Ereignisse und medial besonders stark thematisierte Vorfällen - wie den Taten in Magdeburg oder Aschaffenburg.

Diese Taten und wie darüber gesprochen wird, spielen eine bedeutsame Rolle.

Thomas Mößle, Diplom Psychologe

Skandalisierende Medienberichte und ein stark dramatisierender politischer Diskurs könnten sehr stark verunsichern. Denn die Abgrenzung zu einem selbst und dem eigenen Umfeld, in dem das Sicherheitsgefühl eigentlich seinen Ursprung haben, gelinge nicht immer. Gleichzeitig würden durch Medienberichte und politische Debatten Gruppen wie junge, migrantische Männer als potenzielle Täter stigmatisiert.
Ein Mann stellt eine Kerze zu zahlreichen anderen Kerzen, Blumen und Plüschtieren im Park Schöntal als Zeichen der Anteilnahme. In dem Park waren am 22.01.2025 ein zweijähriger Junge und ein 41-jähriger Mann bei einem Messerangriff getötet sowie weitere Menschen schwer verletzt worden.
Friedrich Merz will die Migrationspolitik massiv verschärfen. Woher die Stimmen im Bundestag dafür kommen, sei ihm nicht wichtig. Einige sehen die Brandmauer zur AfD fallen.24.01.2025 | 2:52 min

Vorurteile gegenüber jungen Migranten

Um die Ecke vom Stuttgarter Schlossplatz trifft sich an diesem Abend eine größere Gruppe junger Männer. Sie trinken Schnaps, wollen noch weiter ziehen. Einer von ihnen, Mohammed, ist extra hergefahren. Eine Stunde mit der Bahn.
Er ist Kurde aus Syrien, fühlt sich meistens sicher und weiß, dass es anderen nicht so geht. "Es kommt aufs Aussehen an", sagt der 19-Jährige. Wenn man ihn und seine Freunde von Weitem sieht, würden viele sicher denken "Scheiß Kanacken". Gut fühle sich das für ihn nicht an.

Nicht alle Ausländer sind gleich. Jeder Mensch ist anders.

Mohammed, 19 Jahre alt

Die Forschung zeigt: Kriminell wird vor allem, wer arm ist, wenig Bildung hat, jung und männlich ist, keine Perspektiven hat. Die Herkunft hat darauf keinen Einfluss. Aber Migranten sind in Deutschland häufig von diesen Faktoren betroffen. Ausländer sind in der Kriminalitätsstatistik überproportional vertreten.

Sicherheitsgefühl bestimmt den Wahlkampf

Unabhängig davon, was die Fakten sagen: Das eigene Gefühl ist mächtig. Denn wer sich unsicher fühlt, schränkt sich ein. Die baden-württembergweite Befragung zeigt: Fast die Hälfte der Befragten umgeht bestimmte Straßen, Plätze oder Parks, um sich vor Kriminalität zu schützen. Mehr als die Hälfte meidet nachts den ÖPNV.
Wichtig ist Studienleiter Thomas Mößle zu betonen, dass die Emotion und daraus folgende Vermeidung nur einen Aspekt zeigen. Die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich Opfer zu werden, schätzten die Befragten geringer ein. Und in der eigenen Wohngegend fühlten sich 75 Prozent der Befragten sicher.
Eric Mayer steht vor einer Grafik, die einen Menschen zeigt, der im Handy lauter schlechte Nachrichten sieht: eine schmelzende Weltkugel, eine Kriegsbombe, einen Geldsack als Symbol für Inflation.
Krieg, Messerangriffe, Pandemie, Klimawandel, Inflation: Gefühlte Dauerkrisen machen Angst. Wie können wir lernen, damit umzugehen? Gibt es eine wissenschaftliche Antwort darauf?02.09.2024 | 26:50 min
Doch die Angst vorm Unkalkulierbaren bestimmt die politische Debatte - erst echt in Zeiten des Wahlkampfs. Seit der Tat von Aschaffenburg werden asylpolitische Maßnahmen diskutiert, die die Sicherheit im Land erhöhen sollen - darunter dauerhafte Grenzkontrollen oder Zurückweisungen und Abschiebehaft für Migranten.
Ankündigungen, die laut Mößle vor allem symbolischen Charakter haben und kurzfristig Wirkung zeigen können:

Es wird vermittelt: 'Endlich tut mal jemand was.' Das stärkt das Sicherheitsgefühl.

Thomas Mößle, Hochschule für Polizei Baden-Württemberg

Ob sich so die objektive Sicherheitslage und das subjektive Sicherheitsgefühl langfristig verbessere, sei fraglich.
Luisa Houben ist Reporterin im ZDF-Landesstudio Baden-Württemberg.

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