AfD in Thüringen: Wie die Demokratie gestärkt werden kann

Analyse

Bei AfD-Erfolg in Thüringen:Wie sich Demokraten gegen Höcke wehren könnten

von Mona Trebing, Erfurt
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Die Thüringer AfD wird als rechtsextrem eingestuft. Was, wenn sie im Freistaat an die Macht käme? Experten geben Handlungsempfehlungen, um die Demokratie zu schützen.

AfD-Politiker Björn Höcke im Gerichtssaal in Halle.
Der AfD-Politiker Björn Höcke muss sich vor Gericht wegen mutmaßlichen SA-Äußerungen verantworten. Trotzdem könnte er bei der Landtagswahl in Thüringen mit der AfD gewinnen.
Quelle: epa

Am ersten September wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Laut Umfragen ist die AfD aktuell mit etwa 30 Prozent stärkste Kraft im Freistaat.
Was, wenn das in 136 Tagen immer noch so wäre und die AfD - auch ohne Regierungsmehrheit - staatliche Machtmittel in die Hand bekäme? Welche Folgen für die Demokratie im Freistaat hätte das womöglich? Könnte die in Thüringen als rechtsextrem eingestufte Partei staatliche Instrumente nutzen, um demokratische Institutionen von innen heraus zu untergraben?

Schwachstellen der Demokratie ausgenutzt: Polen und Ungarn als Negativ-Beispiele

Der Jurist und Gründer von verfassungsblog.de Maximilian Steinbeis beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen wie diesen. Er weiß, wie beispielsweise in Polen oder Ungarn die Schwachstellen der Demokratie bereits ausgenutzt wurden, um den Rechtsstaat zu untergraben und umzuformen. Eine ähnliche Entwicklung hält er auch in Deutschland für möglich.
Um Resilienz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland zu stärken, wollten Steinbeis und andere Wissenschaftler*innen mit dem "Thüringen-Projekt" erforschen, "welche Spielräume eine autoritär-populistische Partei auf Landesebene hätte", und darauf aufmerksam machen, was passieren könnte.
Die AfD sei der Anlass gewesen, jedoch nicht Gegenstand des Projekts, betont Steinbeis.

Steinbeis: Verfassungsrechtliche Einfallstore für Populisten schließen

Nun stellten Steinbeis und sein Team in Erfurt ihre Erkenntnisse vor. In ihren Recherchen hätten sie mehrere "(verfassungs)rechtliche Einfallstore identifiziert, die relativ einfach geschlossen werden könnten, um die Thüringer Rechts- und Verfassungsordnung resilienter gegenüber autoritär populistischen Strategien zu machen", schreiben die Autor*innen in ihrem Papier.
Eine Demokratie sei durchaus widerstandsfähig, sofern sie vorbereitet sei, so Maximilian Steinbeis. "Vorbereitet auf Angriffe von Antidemokraten, die Recht und Macht für ihre Zwecke missbrauchen wollen". Deshalb sei es wichtig, schon heute darüber nachzudenken, was nach der Landtagswahl Realität werden könne.
Es seien überlebenswichtige Organe der Demokratie, die nach der Wahl bedroht sein könnten. Zum Beispiel die Gewaltenteilung oder die freie Presse.

AfD: mit Sperrminorität gegen Medienstaatsverträge

Sieben konkrete Handlungsempfehlungen sprechen Steinbeis und sein Team an die Politik aus. So schlagen sie zum Beispiel einen Antiblockade-Mechanismus bei der Wahl von Richtern für das Thüringer Verfassungsgericht vor. Denn: Erhält die AfD mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag - die Sperrminorität - könnte sie Abstimmungen blockieren, für die eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich ist. Dazu gehört in Thüringen auch die Wahl von Richter*innen für den Verfassungsgerichtshof.
Zudem plädieren die Expert*innen dafür, dass ein Thüringer Ministerpräsident nicht mehr allein Medienstaatsverträge für das Bundesland aufkündigen können soll, sondern das Parlament mit eingebunden werden muss.
AfD-Landeschef Björn Höcke, der sich seit heute wegen des Vorwurfs, eine verbotene SA-Losung verwendet zu haben, vor dem Landgericht Halle verantworten muss, hatte angekündigt, die Medienstaatsverträge kündigen zu wollen - sollte er Ministerpräsident in Thüringen werden.

Polizei und Verfassungsschutz

Die Wissenschaftler*innen raten ebenfalls dazu, Polizei- und Verfassungsschutzpräsident*in aus der Liste der politischen Beamt*innen zu streichen. "Da bei ihrer Ausübung die politische Neutralität besonders wichtig ist", heißt es.
Ein Ministerpräsident, egal ob demokratisch oder antidemokratisch, kann diese sonst "ohne Angabe von Gründen sofort nach Amtsantritt ersetzen".

Landtagsvorsitz und Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen

Außerdem sei es wichtig, das Vorschlagsrecht für das Amt der Landtagspräsident*in zu konkretisieren. Derzeit liegt es bei der stärksten Fraktion, doch laut der Wissenschaftler*innen sollten alle Fraktionen Kandidat*innen vorschlagen dürfen.
"Dass der Ministerpräsident in geheimer Wahl gewählt wird, setzt einen Anreiz für Missbrauch", schreiben die Expert*innen in ihrem Papier. Um Szenarien wie in 2020, als Thomas Kemmerich (FDP) mittels eines Tricks der AfD kurzzeitig zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, zu vermeiden, sollte die Wahl laut Steinbeis und Team also offen erfolgen.

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Steinbeis: Verfassungsänderungen bis September möglich

Um die Handlungsempfehlungen noch vor der Landtagswahl umsetzen zu können, raten die Wissenschaftler*innen den demokratischen Fraktionen, "jetzt an einem Strang" zu ziehen.
"Den politischen Willen vorausgesetzt", wäre laut Maximilian Steinbeis eine Verfassungsänderung bis September noch möglich - sofern die demokratischen Abgeordneten sich einigen können.

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