Muammar al-Gaddafi: Libyens Diktator war im Fokus von Profilern

Narzisstischer Diktator:Libyens Gaddafi im Fokus der Profiler

von Andreas Singler
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42 Jahre lang, von 1969 bis 2011, hielt sich Muammar al-Gaddafi in Libyen an der Macht. Der US-Geheimdienst sah in ihm von Anfang an eine Bedrohung. Und setzte Profiler auf ihn an.

Archivfoto von Muammar al Gaddafi in traditioneller libyscher Kleidung, 2006
42 Jahre lang herrscht Muammar al-Gaddafi über Libyen. Ehemalige Wegbegleiter und führende Psychologen geben nun aufschlussreiche Einblicke in die Psyche des Diktators.13.06.2025 | 43:07 min
Muammar al-Gaddafi war der Sohn eines Ziegen- und Kamelhirten aus der Nähe der libyschen Stadt Sirte. Seine Kindheit war geprägt von Kolonisierung und Fremdherrschaft sowie von den Erzählungen davon in seiner Familie. Schon als Schüler soll Gaddafi hochgradig politisiert gewesen sein.
Als Idealist begann die politische Karriere Muammar al-Gaddafis. Er versprach, dem Volk die Macht zu übergeben. Die Abschaffung der Verfassung und die Vereinigung der Macht in seinen Händen gehörten zu den ersten Maßnahmen nach dem von Gaddafi angeführten Putsch der "Bund freier Offiziere" 1969.
Die westliche Welt, so zeigt die ZDFinfo-Dokumentation "Libyens Gaddafi - Herrschaft des Größenwahns", erklärte der neue Diktator Libyens umgehend zur imperialistischen Bedrohung.
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Jerrold Post - Pionier der Profilierung internationaler Anführer

In den USA löste das Auftreten des neuen Despoten unmittelbar Besorgnis aus. Der Auslandsgeheimdienst CIA setzte eine Abteilung auf Gaddafi an, die 1965 von dem Psychiater Jerrold Post (1934 - 2020) gegründet wurde. "Dr. Post war ein Pionier auf diesem Gebiet", sagt Kenneth Dekleva, ein jüngerer Kollege von Post und früher Berater des US-Außenministeriums.
"Seine Studien haben einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis der Funktionsweise von Terrorgruppen geleistet", so Dekleva. Das sei eine große Herausforderung, denn man habe meist keine Gelegenheit, deren Anführer persönlich zu treffen.

Wir analysieren Herrscher wie Gaddafi anhand ihrer Körpersprache, ihres Erscheinungsbildes und ihres Verhaltens.

Kenneth Dekleva, Psychiater und ehemaliger US-Regierungsberater

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Diagnose: Bösartiger Narzissmus

Die Beschreibung der Profiler zu ihrem Studienobjekt Gaddafi liest sich wie eine Blaupause zum Verständnis vieler Despoten dieser Welt. Dem libyschen Diktator wurde maligner (bösartiger) Narzissmus attestiert. Darunter wird meist eine Kombination verschiedener Persönlichkeitsstörungen von Narzissmus und Aggression über Paranoia bis hin zu antisozialem Verhalten verstanden.

Sehen Sie die Doku "Libyens Gaddafi - Herrschaft des Größenwahns" am 13. Juni um 12:25 Uhr bei ZDFinfo oder streamen Sie sie jederzeit im ZDF-Streamingportal.

Gaddafi und der toxische Despotismus

Diese Mischung aus verschiedenen Persönlichkeitsstörungen zeitigt im politischen Handeln von Despoten wie Gaddafi grausame Gesetzmäßigkeiten. Bedrohungen ihrer Macht begegnen sie mit brutalen Säuberungsaktionen.
Von Gaddafis "Bund der Offiziere" 1969 blieben nach einem versuchten Aufstand 1975 nur wenige Mitstreiter übrig. Der Rest wurde hingerichtet oder ins Exil verbannt. Studentenprotesten begegnete Gaddafi mit Folter und öffentlichen Massenhinrichtungen.
Es werden mehrere Bilder von Problemsituationen in Libyen gezeigt.
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Totale Überwachung als Mittel gegen Bedrohung

Die Paranoia findet Ausdruck im Hang zur totalen Überwachung, sie ist in totalitären Regimes die Antwort auf die tatsächlichen oder eingebildeten Bedrohungen. Auch Gaddafi bediente sich dieses Mittels. Dass er mehrere Attentatsversuche überlebte und 1986 sogar eine gezielte Bombenattacke des US-Militärs auf den Präsidentenpalast in Tripolis, nährte wohl auch bei ihm den absurden Glauben an die eigene Großartigkeit und Unverwundbarkeit.

Autokratische Anführer mit Charisma verfügen oft über eine hohe Standfestigkeit. Das lässt sich zum Beispiel bei Wladimir Putin, Xi Jinping und Bashar al-Assad beobachten.

Kenneth Dekleva, Psychiater und ehemaliger US-Regierungsberater

Diese seien rational, skrupellos und enorm widerstandsfähig, erläutert Dekleva. "Und Gaddafi gehört meiner Einschätzung nach auch in diese Kategorie."
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Die Dokumentation rekonstruiert die letzten Wochen vor Gaddafis Sturz und Tod auf dem Parkett der internationalen Politik.22.10.2020 | 44:27 min

Verwundungen der Kindheit

Gaddafis Verhalten zwischen Terrorismus, grausamem Despotismus und toxischer Männlichkeit war für die Welt so wenig nachzuvollziehen wie sein bizarres Auftreten und die schrille Bekleidung. Und doch folgte es einer inneren Logik, die nur rekonstruieren kann, wer seine anzunehmenden Verwundungen der Kindheit in einer von fremden Mächten besetzten Heimat im Blick behält.
"Für westliche Beobachter ergaben seine Taten nicht immer Sinn. Aber man muss bedenken, dass in manchen Kulturkreisen nur ein starker, charismatischer Anführer respektiert wird", erklärt Kenneth Dekleva. "Ein Anführer, der seine Nation stolz macht, indem er einem Aggressor die Stirn bietet. In Gaddafis Fall war das Amerika."

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Quelle: dpa

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