Warum Lügen nicht am Verhalten zu sehen sind | Terra X- Kolumne

Kolumne

Terra X - die Wissens-Kolumne:Warum man Lügen nicht sehen kann

von Kristina Suchotzki
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Lügen am Verhalten erkennen? Klingt verlockend, ist aber ein Mythos. Was Forschung wirklich zeigt und warum Trainings oft mehr schaden als nützen.

Terra X - Die Wissens-Kolumne: Kristina Suchotzki

In der Wissenschaft sind wenige Erkenntnisse in Stein gemeißelt. Ergebnisse einzelner Studien unterliegen vielfältigen Einflussfaktoren und gerade bei psychologischen Experimenten kontrolliert man eine Reihe von Rahmenbedingungen, die im echten Leben unkontrollierbar sind. Dies kann die Gültigkeit von Ergebnissen einschränken.

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

Gründe, warum man Lügen nicht am Verhalten erkennen kann

Warum lehne ich mich dennoch so weit aus dem Fenster und sage, dass man Lügen nicht am Verhalten erkennen kann? Und widerspreche damit vielen (oft selbsternannten) "Expert*innen" der Lügendetektion?
Müssen wir lügen?
Lügen sind keine sonderlich gute Angewohnheit – so heißt es jedenfalls.20.08.2022 | 15:41 min
Hier die wichtigsten Gründe:
1. Auch wenn in einzelnen Studien immer mal wieder Verhaltensweisen gefunden werden, in denen sich Personen, die lügen, unterscheiden von Personen, die die Wahrheit sagen, sind diese Unterschiede über viele Studien hinweg sehr klein, unsystematisch und die Unterschiede zwischen Personen groß. Dies schränkt deren Brauchbarkeit für die Lügenerkennung enorm ein.
2. Meta-Analysen (in denen Ergebnisse vieler einzelner Studien zusammengefasst werden) zeigen folgerichtig, dass Menschen sehr schlecht darin sind, Lügen am Verhalten zu erkennen. Mit 54 Prozent Genauigkeit liegen sie nur ganz knapp über dem Zufall. Dies ist nur knapp besser, als wenn man mit einem Münzwurf entscheiden würde. Besonders bezeichnend hier, dass Menschen, die das täglich tun müssen (z.B. Polizist*innen und Richter*innen) in einer Meta-Analyse nicht besser abschnitten. Sie fühlten sich lediglich sicherer in ihren Urteilen.
3. Und zwei weitere Meta-Analysen zeigen, dass Trainings, in denen Personen beigebracht wird, auf bestimmte Verhaltensweisen oder Emotionen zu achten, nur sehr begrenzt effektiv sind, schlicht und ergreifend, weil Lügen eben einfach nicht zuverlässig am Verhalten zu erkennen sind.
Du sollst nicht lügen – oder doch?
Ob Höflichkeit oder kleine Notlüge: Wir alle lügen. Welche Lügen sind okay, und wie kann man sie erkennen? Eric Mayer trifft Katja, die einen krassen Betrug durch ihren Ehemann erlebt hat.02.06.2025 | 27:00 min

Mediale Wahrnehmung ohne wissenschaftliche Evidenz

Warum gibt es dann so viele Angebote und kommerzielle Trainings in diesem Bereich? Und warum können diese so überzeugend vermarktet werden? Lügen am Verhalten erkennen zu können, wäre in vielen Situationen ein großer Vorteil und daher ist es nicht verwunderlich, dass sich viele Leute wünschen, dass dies möglich wäre.
Zumal verschiedenste populäre Formate diesen Eindruck befeuern - zum Beispiel die Fernsehserie "Lie to me". Die basiert auf der Theorie von Paul Ekmann, dass man Lügen an sehr subtilen und zeitlich kurzen emotionalen Gesichtsausdrücken erkennen könnte. Wissenschaftliche Studien konnten das nicht bestätigen.
Montage: Zentral im Vordergrund Donald Trump; links im Hintergrund eine Computertastatur, darauf ein Smartphones mit dem aufleuchtenden Logo von Cambridge Analytica; rechts ein Smartphone, auf dem Trumps Twittersuspendierung zu sehen ist.
Die Geschichte wird fortlaufend von einflussreichen Persönlichkeiten geprägt. Um ihre Ansicht zu verbreiten und Macht auszuüben, nutzen Meinungsmacher die Medien ihrer Zeit auf geschickte Weise.05.05.2022 | 44:40 min

Teure Trainings zur Lügenerkennung bringen nichts

Eine geschickte Vermarktung solcher Trainings, verbunden mit der Unterfütterung dieser mit ausgewählten Studienergebnissen (unter Außerachtlassen der Ergebnisse von übergreifenden Studien) fördert leider gerade in Bereichen, in denen Personen auf die Erkennung von Lügen angewiesen sind, die Bereitschaft in solche - häufig kostspieligen - Trainings zu investieren.
Und leider wird dies auch verstärkt durch die Tatsache, dass man in der Praxis auch immer nur sehr selektive Rückmeldungen über den Erfolg der eigenen Lügenerkennungsleistung bekommen kann. Nämlich vor allem dann, wenn man mal Recht hatte, im Vergleich dazu, wenn man eine Lüge nicht erkannt hat.
Eine Weltkugel bedeckt von der US-amerikanischen Flagge, davor der Schatten von Trump
Donald Trump deutet Geschichte und Zahlen um. Aktuelles Beispiel: Der Zollstreit. Und Trump ist damit nicht allein. Wie mächtig ist die politische Lüge?26.03.2025 | 54:22 min

Ein anderer vielversprechender Ansatz

Aus wissenschaftlicher Perspektive würde man also dazu raten, weg von dem Ansatz zu gehen, Lügen am Verhalten von Personen entlarven zu wollen. Denn das kann über kurz oder lang sehr in die Irre führen.
Dies wird intuitiv auch sehr deutlich, wenn man sich mal überlegt, dass es viele Gründe gibt, warum sich Personen, die die Wahrheit sagen, in Situationen, in denen sie unsicher darüber sind, ob ihnen geglaubt wird, genauso verhalten können, wie man dies von vermeintlichen Lügner*innen erwarten würden. Stattdessen erweist sich der Ansatz, nicht darauf zu achten, wie jemand etwas sagt, sondern was - also auf den konkreten Inhalt - in Studien als wesentlich vielversprechender.
Jasmina Neudecker hebt eine verkabelte Hand
Wie heißt es doch, ich sehe es Dir an der Nasenspitze an, dass Du lügst. Aber stimmt das?30.08.2022 | 19:09 min

... ist Professorin für Psychologische Begutachtung mit Schwerpunkt Rechtspsychologie an der Philipps-Universität Marburg. Sie erforscht, welche psychologischen Mechanismen Lügen zugrunde liegen und wie man Lügendetektionsmethoden, die häufig sehr fehleranfällig sind, verbessern könnte. Als Sprecherin der Fachgruppe Rechtspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie engagiert sie sich für die  Verbreitung wissenschaftlicher psychologischer Erkenntnisse in  juristischen Kontexten.

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