Wer nicht versteht, glaubt einfachen Antworten | Terra-X-Kolumne

Kolumne

NANO & Terra X: Wissens-Kolumne:Wer wenig versteht, glaubt schneller

von Anke Grotlüschen und Klaus Buddeberg
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Über sechs Millionen Erwachsene in Deutschland können nur eingeschränkt lesen und schreiben. Was geringe Literalität bedeutet - und warum das die Demokratie betrifft.

Terra X - Die Wissens-Kolumne: Anke Grothlüschen, Klaus Buddenberg


In Deutschland haben über sechs Millionen Erwachsene große Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Pisa-Studien zeigen, dass viele junge Menschen die Schulen mit schwachen Grundkompetenzen verlassen - und das setzt sich im Erwachsenenalter fort.

In der Wissens-Kolumne von NANO und Terra X auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpertinnen und Gastexperten jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.


Lesen und Verstehen hängen zusammen

Die Forschung spricht von "geringer Literalität": Betroffene Erwachsene können zwar einfache Wörter und kurze Sätze lesen, haben aber Probleme mit längeren oder komplexen Texten. Sie verstehen Inhalte oft nicht vollständig und können sie kaum kritisch hinterfragen. Der ältere Begriff "funktionaler Analphabetismus" gilt heute aber als stigmatisierend und wird von Betroffenen abgelehnt.

Wenn das Alphabet zur Qual wird": Bela Lamm sitzt am Tisch und hat eine Kapuze auf. Vor ihm liegt ein Papierblock. In seiner rechten Hand hält er einen Kugelschreiber.

Immer Ärger mit den Buchstaben - wie wenig das Thema "geringe Literalität" in Deutschland Beachtung findet, und was es braucht, damit Betroffene sich trauen, ihr Problem zu kommunizieren.

05.09.2023 | 28:11 min

Warum so viele Erwachsene nicht gut lesen und schreiben können

Die Gründe dafür sind vielfältig. Offenkundig gelingt es Schulen nicht immer, die entsprechenden Grundkompetenzen zu vermitteln - obwohl sich die Bildungsexpansion in den 1970er Jahren positiv ausgewirkt hat. Vor allem Schulabbrüche und familiäre Bildungshintergründe haben großen Einfluss: In Deutschland beeinflussen die Eltern den Bildungserfolg und die Grundkompetenzen im Lesen, Schreiben oder Rechnen viel stärker als in anderen Ländern.

Eine Frau ist von hinten zu sehe, rauft sich die Haare beim Blick auf eine Tafel, auf der das Wort LESEN steht.

Lesen, schreiben, Zusammenhänge verstehen - in Deutschland haben Millionen von Menschen damit Probleme, trotz Hilfsangeboten. Woran liegt's und warum gefährdet es die Demokratie?

08.09.2025 | 28:14 min

Viele Zugewanderte haben häufig Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben auf Deutsch - auch wenn die überwiegende Mehrzahl in ihren Herkunftssprachen sicher und solide literalisiert ist. Sprach- und Integrationskurse haben große Potenziale, sind aktuell jedoch empfindlichen finanziellen Kürzungen ausgesetzt. Dabei wird leider oft übersehen, dass Mehrsprachigkeit eine wertvolle Ressource für die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt sein können.

Sprachcafés für mehr Integration

Hareth Almukdad floh aufgrund von Verfolgung aus seinem Heimatland Syrien. Heute organisiert er Sprachcafés in Berlin. Hier können sich Geflüchtete mit Deutschen ungezwungen mündlich austauschen und so die Sprache lernen.

22.10.2024 | 1:53 min

Mitten im Leben - zwischen Teilhabe und Hürden

Trotz Schwierigkeiten nehmen betroffene Erwachsene mehrheitlich am sozialen Leben teil, leben in Partnerschaften, haben Familie und erste Schulabschlüsse - rund 60 Prozent sind erwerbstätig. Häufig in wenig qualifizierten und oft körperlich belastenden Tätigkeiten. Im Alltag stoßen sie auf viele Hürden: Formulare bei Behörden, im Gesundheitswesen oder bei finanziellen Angelegenheiten.

Leon Winscheid steht vor einer Grafik: Ein Mensch stülpt seine Hosentaschen auf Links und es fallen nur ein paar wenige Münzen heraus.

Gefangen in der Armutsfalle entkommen nur wenige dem Teufelskreislauf. Wie Armut Psyche, Gesundheit und das Leben verändert – und warum es so schwer ist, es wieder herauszuschaffen.

09.12.2024 | 26:51 min

Wissen ist Macht - aber nicht für alle gleichermaßen

Die Suche nach Informationen und Nachrichten ist ein zentrales Element gesellschaftlicher Teilhabe. Wer nur schlecht und langsam lesen kann, ist bei den klassischen Medienkanälen wie Zeitungen oder deren Onlineformaten klar im Nachteil. Video-Formate gewinnen ohnehin an Bedeutung, sodass die Beschaffung von Informationen auch ohne gute Lesekenntnisse gelingen kann.

Mann auf dem Sofa schaut Video auf einem Tablet

Wie Populismus unsere Wahrnehmung verzerrt und Fakten von Emotionen überlagert werden.

20.02.2025 | 28:01 min

Zur Informiertheit gehört aber auch der kritische Umgang mit Informationen. In der Forschung wird das als kritische Medienkompetenz beschrieben. Und gerade da fühlen sich Betroffene unsicher, können zwischen Informationen und Werbung nicht unterscheiden oder den Wahrheitsgehalt von Nachrichten nicht beurteilen.

Das gefährliche Zusammenspiel von Populismus und fehlendem Vertrauen

Gering literalisierte Erwachsene laufen höhere Gefahr, dass sie durch einfache Antworten vereinnahmt werden. Genau hier liegt ein Problem, dem die volle Aufmerksamkeit der Bildungspolitik, zivilgesellschaftlicher Akteure und der Medien gelten sollte: Menschen mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten haben laut Studien weniger soziales Vertrauen in die Gesellschaft, engagieren sich seltener ehrenamtlich und fühlen sich politisch kaum wirksam.

Eric Mayer steht vor einer Grafik, die einen Menschen zeigt, der im Handy lauter schlechte Nachrichten sieht: eine schmelzende Weltkugel, eine Kriegsbombe, einen Geldsack als Symbol für Inflation.

Krieg, Messerangriffe, Pandemie, Klimawandel, Inflation: Gefühlte Dauerkrisen machen Angst. Wie können wir lernen, damit umzugehen? Gibt es eine wissenschaftliche Antwort darauf?

02.09.2024 | 26:50 min

Laut einer OECD-Studie fühlen sich Erwachsene mit geringen Grundkompetenzen in Ländern mit mehrjährigen populistischen Regierungen stärker politisch gehört als andere. Die Ergebnisse sind besorgniserregend - und treten nicht nur in Ländern mit populistischen Regierungen auf, sondern auch in stabilen Demokratien.

… ist Professorin an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg mit Schwerpunkt auf Erwachsenenbildung und Literalitätsforschung. Ihr besonderes Interesse gilt der Anerkennung der Erwachsenenbildung, die in der Bildungsforschung und in den Bildungsministerien viel zu oft hinter der Schule zurückstehen muss.


... ist Erziehungswissenschaftler am Arbeitsbereich Erwachsenenbildung und Lebenslanges Lernen an der Universität Hamburg. Er befasst sich seit über zehn Jahren mit dem Thema Grundbildung von Erwachsenen mit ihren verschiedenen Facetten wie digitale, finanzielle oder politische Bildung. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie auch Erwachsene in schwierigen Lebenssituationen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.


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