Schlüsselfigur im Wirecard-Prozess:Insolvenzverwalter belastet Angeklagten Braun
von Peter Aumeier
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Als Insolvenzverwalter ist Michael Jaffé der wichtigste Kenner des ehemaligen DAX-Konzerns. Nun sagt er erstmals im Strafprozess aus und belastet den angeklagten Markus Braun.
Sitz von Wirecard in Aschheim.
Quelle: imago images | SVEN SIMON
Es ist ein besonderer Tag im Wirecard-Skandal: Erstmals trifft Markus Braun, Ex-Chef und Hauptangeklagter, auf den Mann, der nach seiner Verhaftung die Geschäfte übernahm: Michael Jaffé, Rechtsanwalt und bekannter Insolvenzverwalter. In der juristischen Aufarbeitung spielt Jaffé eine zentrale Rolle. Denn seit seiner Bestellung zum Insolvenzverwalter im Jahr 2020 hat er tiefgreifende Einblicke in die internen Strukturen, Geldflüsse und Entscheidungsprozesse des Unternehmens gewonnen.
Jaffé verfügt über umfangreiche Informationen, die bislang nicht öffentlich gemacht wurden. Für das Gericht ist seine Aussage von hoher Bedeutung. Gerichtssprecher Laurent Lafleur erklärt:
Wenn die Strafkammer einen Zeugen gleich für drei Tage lädt, dann ist natürlich davon auszugehen, dass sich die Kammer von der Aussage einen Beitrag zur Aufklärung verspricht. Sonst würde sie nicht so viel Zeit für ihn reservieren.
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Laurent Lafleur, Gerichtssprecher
Dabei sei Insolvenzverwalter Jaffé bewusst nicht schon früher geladen worden, um zu vermeiden, dass man ihn mehrfach hören müsste.
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Jaffé: Asien-Geschäft von Wirecard frei erfunden
Mit Aussagen und öffentlichen Auftritten ist Jaffé äußerst zurückhaltend. Auch den Gerichtssaal betritt er erst, als die Fotografen bereits draußen sind. Fotos von sich schätzt er nicht. Nur einmal, im Juni vor zwei Jahren, hatte Jaffé sich zu den Geschäften von Wirecard bisher geäußert, allerdings mit einer brisanten Vermutung: Das Geschäft von Wirecard mit angeblichen Partnern in Asien sei komplett erfunden.
In einer Stellungnahme an das Amtsgericht München wird Jaffé mit dem Satz zitiert:
Die vermeintlichen Treuhandgelder hat es bei Wirecard nicht gegeben, weder im Jahr 2018 oder 2019 noch in den Vorjahren.
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Michael Jaffé, Insolvenzverwalter bei Wirecard
Auch das sogenannte TPA-Geschäft - also die Zahlungsabwicklung über Drittanbieter - hat laut Jaffé nicht stattgefunden. Die Führung von Wirecard hatte behauptet, für andere Firmen Zahlungen abzuwickeln, ohne dass sie selbst direkt mit den Kunden zu tun hatten.
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Vorwurf: Wirecard hat Milliarden verbrannt
An diesem ersten Tag seiner Aussage schildert Insolvenzverwalter Jaffé die ersten dramatischen Tage nach dem Zusammenbruch von Wirecard: "Eine Führungsriege war nicht mehr vorhanden und die zweite Ebene war schlichtweg überfordert." Die Firmenstrukturen, die er als Insolvenzverwalter übernahm, seien schwierig, Kontrollmechanismen fehlerhaft gewesen.
Insolvenzverwalter Michael Jaffé (Archivfoto, 2009)
Quelle: ddp | Millauer, Norbert
Spannend wird es im Saal als Richter Markus Födisch fragt, womit Wirecard denn wirklich Geld verdient habe. Jaffés Antwort: "Geld hat man da gemacht, wo Wirecard auch herkam, also der Schmuddelecke, wie Gewinnspiele."
Und dann kommt der entscheidende Satz:
Wir haben am Ende einen Cash Burn von 1,1 Milliarden Euro festgestellt, um die Struktur von Wirecard aufrecht zu erhalten.
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Michael Jaffé, Insolvenzverwalter bei Wirecard
Kurzum: Wirecard habe kein Geld verdient, sondern Geld verbrannt. Auch das Guthaben auf den angeblichen Treuhandkonten auf den Philippinen habe es "definitiv" nie gegeben.
Wirecard: Prozess läuft seit drei Jahren
Seit 2022 verhandelt das Gericht in München an mindestens zwei Tagen in der Woche, meist mittwochs und donnerstags. Die Aussage Jaffé fällt nun auf Gerichtstag 207. Seit Insolvenz und Verhaftung sind nunmehr genau fünf Jahre vergangen. Dabei ist das Verfahren außerordentlich kompliziert: Die Kammer hatte tausende Dokumente in den Prozessakten zu sichten: mutmaßliche Scheinverträge, E-Mails, echte wie auch vielleicht gefälschten Zahlungsbelege und sonstige Dokumente aus mehreren Ländern.
Dass ein Wirtschaftsstrafverfahren lange dauere, sei nach Ansicht des renommierten Rechtswissenschaftlers Frank Saliger nichts Ungewöhnliches: "Das liegt an der Komplexität der Sachverhalte, aber auch an der Komplexität der Strafrechtsfragen." In gewissen Bereichen müsse sogar erst geprüft werden, ob ein Sachverhalt überhaupt strafbar sei. Deshalb könne ein solches Verfahren auch bis zu 8 oder 10 Jahren dauern.
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Prozess: Urteil noch in diesem Jahr?
Auch bei der Strafbemessung am Ende des Prozesses fließe die Länge des Verfahrens mit ein, erklärt Wirtschaftsstrafrechtler Saliger. Umso länger die Tat zurückliege, umso geringer könne in der Regel dann auch das Strafmaß sein. Der Hauptangeklagte Markus Braun sitzt seit Juli 2020 in Untersuchungshaft. Seine Anträge auf Haftentlassung wurden vom Gericht abgelehnt - unter anderem wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr.
Noch bis zum 18. Dezember dieses Jahres sind offiziell Prozesstage angesetzt. Unter Umständen könnte es noch in diesem Jahr oder Anfang des kommenden Jahres zu einem Urteil kommen, so Brauns Verteidigerin Theres Kraußlach auf ZDF-Anfrage. Gerichtssprecher Laurent Lafleur dazu: "Aus Sicht der Kammer ist das Beweisprogramm weit fortgeschritten."
Peter Aumeier ist Redakteur im ZDF-Landesstudio München